Grazie Gianroberto

Gianroberto_Casaleggio

Gianroberto Casaleggio

1954 – 2016

Heute wurde Gianroberto Casaleggio in Mailand beigesetzt. Er war einer der beiden Gründerväter der Fünf-Sterne-Bewegung – und starb mit nur 61 Jahren „nach einer langen, schweren Krankheit“ – wie man in solchen Fällen sagt.

Sein Tod ist ein großer Verlust. Nicht nur für die Fünf-Sterne-Bewegung, sondern für ganz Italien.

Ich bin Gianroberto Casaleggio nur ein Mal begegnet, 2009 in seinem Büro in Mailand. Ein John-Lennon-Typ, dachte ich, als ich ihn sah. Lange, lockige Haare, runde Brille. Mehr Nerd, als Manager. Wir saßen im Konferenzraum seines Büros an einem rechteckigen Tisch und sprachen über Deutschland und über die Mafia. Er empfahl mir ein Buch über Banken und Geldwäsche – nur mal so, zum Thema #Panamapapers.

 Als ich ihn in Mailand traf, war mein Buch „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ gerade unter dem Titel „Santa Mafia“ in Italien erschienen, ich war nach Mailand gekommen, um für Beppe Grillos Blog interviewt zu werden. Zwei Straßen von Casaleggios Büro entfernt, in der Galleria Vittorio Emanuele nahmen wir das Video auf. Die Fünf-Sterne-Bewegung war mir da schon lange vertraut, ich hatte Beppe Grillo im Dezember 2005 bei seinem ersten Meet-Up-Treffen in Turin  kennengelernt und darüber in der ZEIT geschrieben.

Wir blieben danach in Kontakt – auch weil ich nach vielen Jahren in Italien zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass sich in dem verknöcherten Land endlich etwas bewegen würde. Ich hatte Hoffnung – wie viele Italiener auch, die der Fünf-Sterne-Bewegung später, im Februar 2013, dazu verhalfen, ins italienische Parlament einzuziehen, als zweitstärkste italienische Partei. Und das war keine Protestwahl, sondern die Frucht der langen Arbeit von Gianroberto Casaleggio und Beppe Grillo.

Die beiden Gründerväter der Fünf-Sterne-Bewegung, sie hätten nicht unterschiedlicher sein können. Wo der eine schüchtern und zurückhaltend war, küsst dich der andere ab. Wo Grillo „Leckt mich am Arsch“ schreit, sagte Casaleggio allerhöchstens: „Jetzt ist man mir wirklich auf die Nerven gegangen.“ Und vermutlich waren es genau diese komplementären Eigenschaften, die ihre Freundschaft festigten. „„Wir sind wie ein Ehepaar, wir telefonieren sechs Mal am Tag, wir sprechen zusammen und so entsteht ein Stück für den Blog“, sagte Grillo.

Anders als Grillo, der keinen Schritt machen kann, ohne die Leute zum Lachen zu bringen, lachte Casaleggio selten – und wenn, dann meistens nur dank Beppe. Kennengelernt haben sie sich im Jahr 2004: der Komiker, der von Craxi höchstpersönlich aus dem italienischen Fernsehen entfernt worden war, und der Mailänder Kommunikationsexperte. Grillo tourte damals mit seiner Show durch die Theater Italiens – wo er einmal sogar einen Computer auf der Bühne zertrümmerte. Da  hatte Casaleggio schon längst erkannt, wie das Netz die Welt verändern würde, er hatte darüber bereits Bücher geschrieben („Il web è morto, viva il web“ 2001 und „Web ergo sum“ 2004) und eine Beratungsfirma für Netzstrategie gegründet. Grillo hatte Casaleggios Buch gelesen und ihn angerufen. Am Ende ihres ersten Treffens sagte Casaleggio: „Wir sollten mal was zusammen machen“, und Grillo antwortete: „Du bist verrückt“. Kurz danach überzeugte Casaleggio ihn, einen Blog zu betreiben. Es wurde einer der erfolgreichsten Blogs der Welt. Die Keimzelle der Fünf-Sterne-Bewegung.

Verrückt waren beide. Gott sei Dank. Denn ohne sie säßen wir hier immer noch in der Endlosschleife fest, in der sich Italien bis zu dem Zeitpunkt befand, als die Fünf-Sterne ins Parlament einzog. Was einem Urknall gleich kam, jedenfalls für die etablierten italienischen Parteien. Grillo und Casaleggio schafften eine Bewegung, die zweitstärkste Partei Italiens wurde, obwohl sie kein Geld hat, keine Fernsehsender, keine Tageszeitung, kein Verlagshaus, keine Banken, keine Fußballvereine, und die überdies einen sperrigen Namen trägt (sie ist nach den fünf Leit-„Sternen“ des Gründungsprogramms benannt: Wasser, Umwelt, Transport, Internet, Entwicklung).

Vielleicht muss man es selbst am eigenen Leib gespürt haben, dieses Gefühl von ewiger Wiederkehr des Gleichen, um zu verstehen, welche Bedeutung die Fünf-Sterne-Bewegung – und damit Gianroberto Casaleggio für Italien hat. Wie wäre es, mal darüber nachzudenken, wie es dazu kam, dass ein Wort wie „Onestà„, Ehrlichkeit, in Italien zu einem politischen Schlachtruf wurde? Zuletzt ausgerufen heute morgen, als der Sarg von Gianroberto Casaleggio aus der Kirche getragen wurde?

Wie wäre es, sich mal in die Rolle eines Italieners zu versetzen, der die Skandale der letzten der 25 Jahre noch nicht verdrängt hat, der sich noch an die zwanzigjährige Herrschaft des notorischen Lügners erinnert – die von einem jungen Schaumschläger fortgesetzt wird –  eines Italieners, der noch einen Überblick über die Korruptionsskandale behalten hat und sich noch an die parteiübergreifenden Einigungsgespräche zwischen Staat und Mafia erinnert, deren Früchte bis heute geerntet werden?

Ich habe einmal versucht, dieses Lebensgefühl zu beschreiben, in der ZEIT im Jahr 2008, unter der Überschrift „Das Land, das ich leider liebe“ – auch weil ich den Eindruck hatte, dass in Deutschland niemand dieses Gefühl versteht:

Meine deutschen Kollegen fragen mich: Wie kann es sein, dass die einzigen ernst zu nehmenden Oppositionellen in Italien ein Komiker, ein Philosoph, ein Journalist und ein ehemaliger Staatsanwalt sind? Und ich sage: Italien ist ein Land, in dessen Parlament 70 vorbestrafte Parlamentarier sitzen. Aber es ist auch ein Land, in dem Millionen von Italienern auf die Straße gehen, um gegen die Herrschaft dieser vorbestraften Parlamentarier zu demonstrieren.

An Empathie für Italien und für die Fünf-Sterne-Bewegung mangelt es bis heute, in Deutschland. Auch weil viele Korrespondenten nichts anderes als Copy&Paste-Journalismus betreiben. Und so verwundert es mich auch nicht, die ganzen Grillo- und Casaleggio-Schmähungen auch in der deutschen Presse zu lesen. (Zur italienischen Presse auch hier noch ein Hintergrund) Die Fünf-Sterne-Bewegung ist der schlimmste Feind des politischen Establishments in Italien, demzufolge war nichts naheliegender, als den zurückhaltenden Casaleggio als obskure Macht hinter Grillo zu diffamieren, einer, hinter dem der CIA, die Freimaurer und die Weltfinanz vermutet wurden. Die italienischen Zeitungen diffamierten Casaleggio als „Autist“, „Bauchredner“, „Diktator“, „Verschwörungstheoretiker“, „Paranoiker“ etc.pp. Er hat die ganzen Beschimpfungen mal alphabetisch als Buch veröffentlicht. Unter dem Titel „Beschimpft mich!“ forderte er auf, die Liste zu vervollständigen, es fehlte noch eine Beschimpfung unter dem Buchstaben „Z“.

Die Rechte betrachtet die Fünf-Sterne-Bewegung als links, die Linke bezeichnet sie als „antipolitisch“ und „populistisch“. Casaleggio sagte dazu bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritte in Genua 2013:

„Ich bin stolz darauf, populistisch zu sein. Die Macht muss zurück zum Volk. Die Menschen in den Institutionen müssen dem Volk dienen, sie dürfen sich nicht über den Willen des Volkes erheben“

Um den Vorwürfen zu begegnen, ein „heimlicher Strippenzieher“ zu sein, schrieb er in einem Brief an den Corriere della Sera im Jahr 2012:

Ich habe mich niemals in das Programm der Listen eingemischt, ich habe nie jemanden etwas auferlegt. Wer mich um einen Rat gebeten hat, dem habe ich ihn gegeben, darin sehe ich nichts Obskures. Man hat mir Verbindungen zu den sogenannten heimlichen Mächten Italiens unterstellt, von den Freimaurern über Bilderberg bis zu Goldmann Sachs – mit denen ich nie etwas zu tun hatte. Hinter Gianroberto Casaleggio steht nichts anderes als Gianroberto Casaleggio, ein einfacher Bürger, der ohne jede öffentlichen oder privaten Gelder mit seiner Arbeit und seinen beschränkten Mitteln versucht – wobei ich mir vielleicht Illusionen mache und sicher manchmal Fehler begehe – die Gesellschaft zu verbessern, in der wir leben.“

In seinem letzten Post vom 7. April schrieb er um eine der vielen Falschmeldungen zu berichtigen:

Ich gebe nicht auf. Ich werde mit Millionen ehrlichen Italienern für den Erfolg der Fünf-Sterne-Bewegung weiterkämpfen.

Ja, er war ein Utopist und ein Visionär. Einer, der sein Land wirklich liebte. Ciao Gianroberto.