Wie sie war, wo sie war.

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Heute vor zwanzig Jahren brannte die venezianische Oper, das Teatro La Fenice ab. Aus gegebenem Anlass ein Artikel, den ich 2003 für die Schweizer Zeitschrift „Du“ geschrieben habe.

Ich wohne gegenüber von der Fenice. Oder besser: Von dem, was von ihr geblieben ist. Viel ist es nicht. Die Außenmauern, gestützt durch ein riesiges Stahlrohrkorsett. Ein sechs Meter hoher Bauzaun aus Aluminium. Eine Tür, hinter der Bauarbeiter verschwinden. Neuerdings jedenfalls. Mittags sitzen einige von ihnen auf dem Sockel der Kirche von San Fantino und essen ihre panini – direkt neben dem roten Hydranten, der erst nach dem Brand des Theaters hier angeschlossen wurde, leider. Die Bauarbeiter sitzen genau an der Stelle, wo der Campo durch den Bauzaun so verengt, dass nur ein enger Durchgang freiblieb. Dort sitzen sie und heften ihre Blicke auf die Beine der Frauen – Bellezza mia flüsternd, Bionda, für dich gäbe ich mein Leben! hauchend, Seht diesen Engel, herabgestiegen aus dem Paradies!, raunend.

Darin liegt ein Fortschritt, denn über mehrere Jahre hinweg herrschte hier Totenstille. Seit das Theater vor sieben Jahren, am 29. Januar 1996, in nur einer Nacht abbrannte, passierte nicht viel. Jedenfalls nichts Sichtbares. Kein einziger Bauarbeiter, der den Frauen nachschaute, kein Schwenk eines Baukrans, kein Baggergeräusch, kein Kreischen einer Kreissäge. Nichts. Stattdessen eine unsichtbare juristische Saalschlacht. Wieder sei eine Baufirma vor das venezianische Verwaltungsgericht gezogen, um gegen die Ausschreibung zu klagen, hieß es. Wieder habe eine neue Baufirma die Arbeiten an der Fenice übernommen, wieder wurden andere Namen genannt, und jedes Mal klangen sie wie erfunden: SACAIM, IMPREGILO, HOLZMANN-ROMAGNOLI. Sie klangen wie eine Automarke, wie eine Abkürzung für eine neue Vermögenssteuer, wie ein italo-amerikanischer Zigarettenkonzern, aber nicht so, als ob jemand ernsthaft die Absicht hätte, die Fenice wieder aufzubauen.Ja, sagt Marco Corsini gedehnt, es war frustrierend. Und dann schweigt er wieder, und sein Blick schweift in die Ferne, über die roten Dächer Venedigs hinweg, über Kirchturmspitzen und schiefe Campanili. Marco Corsini, der venezianische Stadtrat für öffentliche Arbeiten, antwortet so wortkarg auf die Fragen nach dem Fortgehen der Arbeiten in der Fenice, als handele es sich um ein Anwerbungsgespräch für den Staatssicherheitsdienst. Als Anwalt weiß er, dass alles gegen ihn verwendet werden kann, dass es besser ist, sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht zu berufen, zu schweigen und in die Ferne zu blicken. Sein Büro befindet sich im Palazzo Farsetti am Canal Grande, im dritten Stock und die Aussicht von seinem Schreibtisch ist ergreifend schön.

Dann räuspert er sich und sagt, dass sieben Jahre eigentlich keine lange Zeit für den Wiederaufbau eines Theaters wie der Fenice seien. In Barcelona habe es fünf Jahre gedauert, bis das abgebrannte Liceo wieder aufgebaut worden sei, das Teatro Petruzzelli in Bari sei immer noch eine Ruine und das Teatro Massimo in Palermo zwanzig Jahre lang geschlossen gewesen. Es sei zwar richtig, dass Jahre kostbarer Arbeit verloren gegangen seien, allein drei Jahre lang habe kompletter Stillstand geherrscht, aber jetzt, seit März 2002, sei er ganz zuversichtlich. Seitdem die Firma SACAIM die Arbeiten an der Fenice übernommen habe, laufe alles vorzüglich, und im Dezember 2003 könne die Fenice wiederöffnet werden, mit einer Konzertwoche, die Bürgermeister Paolo Costa wünsche.

Nun waren auch bereits andere vor ihm sehr zuversichtlich, insbesondere Ex-Bürgermeister Cacciari, der am Morgen nach dem Brand wie ein geschlagener, dennoch zuversichtlicher römischer Feldherr beschied: Com’era, dov’era! Die Fenice also wie sie war, wo sie war wiederaufzubauen und im Dezember 1999 wiederzueröffnen – mit Cherubinis „Großer Messe für den Prinzen Esterhazy“, dirigiert von Riccardo Muti. Dann sollte das Theater lange vor der Jahrtausendwende wiedereröffnet werden. Schließlich im Jahr 2001. Da war die Fenice immer noch eine Ruine, und Cacciari drohte, sich an ihren Überresten anzuketten, falls die Arbeiten nicht sofort und unverzüglich weitergingen.

An der Baustelle zählt jetzt eine Uhr die verbleibenden Tage. Es ist eine Uhr wie diejenige, welche in Hongkong die verbleibenden Tage als britische Kolonie zählte. Die Stadtverwaltung habe den neuen Bauherren gezwungen, diese Uhr für alle sichtbar anzubringen, sagt Marco Corsini. Er betont das Wort „gezwungen“, als hätten sie mit dieser kleinen Uhr bereits einen Sieg errungen.

Manchmal sehe ich zu dieser Uhr hoch, wenn ich den Campo San Fantin überquere, der seit dem Brand nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Der Baustelle nimmt den halben Platz ein, die Bar al Teatro wurde wegen mangelndem Zulaufs verkleinert, die Kirche ist geschlossen, daneben steht ein bizarrer Glaskubus im Weg herum, in dem Postkarten und Videos über den Brand verkauft werden, Fotos von Woody Allen beim Besuch der Ruine, Jutetaschen mit Fenice-Aufdruck und Callas CDs. Der Erlös soll dem Wiederaufbau dienen, und die Callas verkauft sich inzwischen besser als der Brand.

In der Nacht, als die Fenice abbrannte, saß ich im Flugzeug. Das Bordfernsehen hatte den Brand des legendären venezianischen Theaters gemeldet, und ich glaubte, dass es sich lediglich um einen Jahrestag des Brandes von 1864 handelte, als die Fenice bis auf die Grundmauern abgebrannt war – und das Theater seinem Namen alle Ehre machte, als es nach nur einem Jahr wie der Phönix aus der Asche wiederauferstanden war. Erst als ich bei der Zwischenlandung in Frankfurt die Überschrift des Corriere della Sera sah, begriff ich. Beim Weiterflug machte der Pilot bei Vincenza nicht nur auf das Verlassen der Reiseflughöhe aufmerksam, sondern auch auf den Rauch von der Fenice, der in der Ferne in den lichtblauen Himmel stieg, und ich fragte mich, ob unser Haus noch stehen würde.

Ich hatte Mühe, bis zum Campo San Fantin zu gelangen und zwängte mich durch Neugierige, die immer wieder von Polizisten und Feuerwehrmännern zurückgedrängt wurden. Der Campo war abgesperrt, das Pflaster naß und mit Ruß verklebt, überall lagen Löschschläuche, sie zogen sich über die Brücke hin zum nächsten Kanal – denn der Kanal unter unseren Fenstern, der auch die Fenice umgibt, war trockengelegt. Wegen Säuberungsarbeiten. Der Brief, der zuvor bei Bürgermeister Cacciari eingegangen war und auf die Brandgefahr während der laufenden Renovierungsarbeiten im Theater hingewiesen hatte, war nicht zur Kenntnis genommen worden.

Wir hatten Glück. Die Nacht, in der die Fenice abbrannte, war windstill. Das Feuer brannte wie in einem Kamin – begrenzt von den Außenmauern des Theaters. Ein geringer Funkenflug hätte gereicht, und das ganze Stadtviertel San Marco wäre bis auf die Grundmauern niedergebrannt.

Noch Wochen danach roch es verkohlt. Neugierige ließen sich die vor der Ruine fotografieren, sogen den Brandgeruch ein und hinterlegten in Zellophan gepackte Blumensträuße. Wir wurden Zeugen, wie Staatspräsident Scalfaro an die Unglücksstelle pilgerte und in seiner Folge das halbe italienische Parlament, der französische Kulturminister Toubon, schließlich Woody Allen, mit dessen Jazz-Konzert das Opernhaus nach den unglückbringenden Renovierungsarbeiten hätte wiedereröffnet werden sollen. Vor der Ruine hauchte Woody Allen immer wieder ein bekümmertes terrifying! in die Kameras. Er durfte sogar hinter die Absperrungen, um zwischen Kabelrollen und Feuerwehrschläuchen zu posieren. Dieses Privileg ver­droß den venezianischen Rechtsanwalt Mario D’Elia derart, dass er Woody Allen anzeigte, weil er den Artikel 3 der italienischen Verfas­sung verletzt habe: Alle Bürger sind gleich – warum darf dann nur Woody Allen hinter die Absperrung? Der Fall wurde bald zu den Akten gelegt. Woddys Konzert fand trotzdem statt. Im kahlen Theater Goldoni zwar, aber immerhin. Er widmete es der abgebrannten Oper. Ideell, denn den Erlös seines Konzertes nahm er mit.

Der damalige Intendant der Fenice-Oper, Gianfranco Pontel, weinte in jede Kamera, die ihm entgegengehalten wurde, er beschwor seine Unschuld in der Maurizio-Costanzo-Talkshow, er schluchzte in den Nachrichten der RAI und beteuerte, dass er sein Leben gegeben hätte, um das Theater zu retten. Dabei hätten eine funktionierende Feueralarmanalage, ein Feu­erwehrmann und ein zweiter Hausmeister schon ausgereicht.

In der Zwischenzeit forschte der venezianische Ober­staatsanwalt Felice Casson nach den Ursachen des Brandes und stellte 14 Ermittlungsbescheide wegen Verletzung der Aufsichtspflicht aus, gegen den Bürgermeister, Denkmalschützer, Intendanten, gegen Ingenieure und Hausmeister.

Jeden Tag gab es neue Erkenntnisse, bis man sich in der Bar Al Teatro schließlich fragte, warum das Thea­ter nicht eigentlich schon viel früher abgebrannt war: Der Kanal war seit Monaten trockengelegt, die Feueralarmanlage ausge­stellt, ein einziger Hausmeister sollte ein Gebäude von 65 000 Qua­dratmetern bewachen, und erst wenige Wochen vor der Katastrophe war es im Theater bereits zu einem kleinen Brand gekommen. Der oberste Denkmalschützer der Stadt, Livio Ricciardi, behauptete kühn, von den laufenden Renovierungsarbeiten in der Fenice nichts gewußt zu haben, es gab Elektroöfen, an denen sich die Verwaltungsangestellten wärmten und mit denen der Stuck getrocknet wurde, außerdem fünzig Dosen brennba­rer Kunstharze und einen Benzintank, und zwischen all dem wurde ge­schweißt, gelötet und gefackelt. Der weinende Intendant lieferte sich ein kur­zes Gefecht mit Bürgermeister Cacciari, der behauptete, daß der Intendant ebenfalls sehr wohl von der Brandgefahr unterrichtet worden sei, woraufhin Pontel beschied, Musikunternehmer zu sein, kein Bauunternehmer.

Sogar um die er­kaltete Asche wurde gezankt: Bürgermeister Cacciari wollte die Ruine so schnell wie möglich räumen lassen, um mit den Bauarbeiten anzufangen, das Denkmalschutzamt aber wollte erst alles sorgsam sortieren, katalogisie­ren und numerieren, um brauchbare Reste wiederzuverwenden. Mitglieder des Fenice-Orchesters plädierten dafür, die Asche des Phönix in kleinen Muranoglasfläschen an Touristen zu verkaufen, der Vorstoß wurde jedoch wegen Pietätlosigkeit verworfen. Unberührt vom Zank schlug über Venedig eine nie zuvor gesehene Welle von Wohltätigkeits­bällen zusammen: Cocktail im Palazzo Barbaro, Dinner im Palazzo Pi­sani-Moretta, Kammerkonzert im Palazzo Giu­stiniani Bran­dolini: Smo­king und kurzes Abendkleid erwünscht. Pavarotti drohte ein Benefiz­konzert auf dem Markusplatz an, auch Placido Domingo ließ sich nicht lumpen und wollte Verdis „Otello“ singen, auch auf dem Markusplatz. Spen­den aus aller Welt trafen ein – aus Taiwan bis Rußland.

Nicht nur Verschwörungstheoretiker, sondern auch Oberstaatsanwalt Casson vermutete zunächst die sizilianische Mafia als Brandstifter – Bosse der Cosa Nostra, vom Rang eines Totò Riina, eines Leoluca Bagarella. Rechtsextreme Attentäter wurden auch nicht ausgeschlossen, man erinnerte an das Attentat von Piazza Fontana. Die Wahrheit war dann ziemlich banal: Zwei venezianische Elektriker hatten das Feuer gelegt, um einer Konventionalstrafe von 50 Millionen Lire, heute 25 000 Euro, zu entgehen, die ihnen wegen verspäteter Arbeiten drohte – zuzüglich des Schadens, die dem Theater durch die Verspätung entstanden wären. Sie hatten den Brand um 20.30 Uhr in der Galerie der Fenice gelegt. Verraten hatten sie sich wegen ihrer falschen Alibis. Gestanden haben sie bis heute nicht. Überführt wurden sie durch die Beweislast, die Casson dem Gericht mit einer dreidimensionalen Computer-Simulation des Brandes vorführte.

Casson wird von den Venezianern dafür geliebt, dass er auch nicht davor zurückschreckte, Haft für die Verantwortlichen zu fordern. Für Bürgermeister Cacciari, für den Intendanten Pontel. Bei meinen Ermittlungen pflege ich mich nicht von Orden oder Uniformen beeindrucken zu lassen, sagt Casson sanft. Der Staatsanwalt ist ein Volksheld in Norditalien – er hat nicht nur das Attentat von Piazza Fontana als rechtsterroristischen Bombenanschlag aufgeklärt, die Existenz der Geheimmilizen der NATO aufgedeckt: „Gladio“ – und dabei den Staatspräsidenten Cossiga der Mitwisserschaft bezichtigt, sondern auch 31 Managern des venezianischen Chemiekonzerns Montedison die Verantwortung am Krebstod ihrer Arbeiter und an der Verseuchung der Lagune nachgewiesen.

Im November vergangenen Jahres, sieben Jahre nach dem Brand, wurden die beiden Elektriker Enrico Carella und Massimilano Marchetti in zweiter Instanz zu sechs und sieben Jahren Haft verurteilt. Alle anderen Angeklagten, darunter Bürgermeister Cacciari, wurden freigesprochen. Ob das nicht sehr milde Urteile waren? Felice Casson sitzt in seinem Büro am Rialtomarkt, schmal und mönchisch und gleichmütig, und zuckt mit den Schultern. Sieben Jahre seien die Höchststrafe für Brandstiftung. Leider habe sich das Appellationsgericht nicht seiner Argumentation angeschlossen, auch die Verantwortlichen zu bestrafen. Die beiden Brandstifter befinden sich, auf freiem Fuß, bis ihr Urteil durch das Kassationsgericht bestätigt wird. Ob sie noch als Elektriker arbeiten? Felice Casson sagt: Bei mir zu Hause jedenfalls nicht.

Als die beiden Brandstifter in zweiter Instanz verurteilt wurden, empörte sich in Venedig kaum noch jemand. Denn da war der Phönix bereits unter vierzehn weiteren Verwaltungsgerichtsprozessen begraben worden. Wissen Sie, sagt Marco Corsini sybillinisch, öffentliche Arbeiten bedeuten oft mehr Streit als Arbeit. Er muß es wissen, schließlich leitete er bis zu seiner Zeit als Stadtrat die Rechtsabteilung des Ministeriums für öffentliche Arbeiten – unter Paolo Costa, dem damaligen Minister und heutigen venezianischen Bürgermeister. Wie um sich selbst zu vergewissern, dass die Zeit nicht ergebnislos verstrichen ist, hat er eine „Chronologie der wichtigsten Ereignisse“ zusammenstellen lassen, vom Brand bis zum Frühjahr 2002, in dem die venezianische Firma Sacaim die Arbeiten übernahm. Als dritte und letzte Baufirma. Vorerst.

Bei der ersten Ausschreibung im Jahr 1996 hatte die dem Fiat-Konzern zugehörige Impregilo den Wettbewerb gewonnen, mit einem Entwurf der Architektin Gae Aulenti. Die Impregilo habe nicht nur mit den geringsten Kosten, sondern auch der kürzesten Zeit überzeugt: Fertigstellung in nur 823 Tagen, sechzig Tage weniger als der Konkurrent, die italienisch-deutsche Baufirma, Holzmann-Romagnoli mit dem Architekten Aldo Rossi.

Im Juni 1997 begann die Firma Impregilo ihre Arbeit auf der Baustelle. Allerdings nicht lange. Denn inzwischen hatte ihr Konkurrent, die Holzmann-Romagnoli, Einspruch beim venezianischen Verwaltungsgericht eingereicht: Anders als ihr Entwurf sehe der Entwurf der Impregilo nicht den Umbau des 500 Quadratmeter großen Südflügels vor, in dem Aldo Rossi einen neuen Konzertsaal, Übungsräume und Konferenzräume vorgesehen habe. Kein Wunder also, dass der Entwurf von Gae Aulenti weniger Geld und Bauzeit beanspruche. Die Richter des Verwaltungsgerichtes gaben der Holzmann-Romagnoli recht. Dagegen legte die Impregilo Berufung ein. Es kam zu einem Urteil des Staatsrates, die Impregilo mußte die Baustelle verlassen, und die Holzmann-Romagnoli zog ein. Vertraglich garantiertes Ende der Arbeiten: April 2003.

Zwei Jahre nach diesem Urteil, im Juni 2001, läßt Bürgermeister Costa alle Arbeiten stoppen und die Baustelle räumen. Die Holzmann-Pleite war dafür allerdings nicht der Grund: Im Falle des Konkurses von Holzmann übernahm Romagnoli automatisch die Verantwortung. Sondern die zu langsam ausgeführten Arbeiten: Die Holzmann-Romagnoli habe in den zwei Jahren lediglich sechs Prozent der Arbeiten ausgeführt.

Der Wettbewerb um den Wiederaufbau wurde neu ausgeschrieben, mit der Auflage, die Fenice innerhalb von 630 Tagen wiederaufbauen, bis zum November 2003. Es gewann die venezianische Firma Sacaim. Es wird ein Zufall sein, dass sie eine Tochterfirma der Impregilo ist. Sie übernahm den Entwurf des inzwischen verstorbenen Architekten Aldo Rossi.

Il solito, das Übliche, sagen Venedigs Verschwörungstheoretiker, verberge sich hinter all den juristischen Schlachten. Wenn niemand mehr etwas versteht, wird in Italien mit Eifer das betrieben, was man Dietrologia nennt: Die Kunst, etwas dahinter zu erkennen. Und hinter den ganzen juristischen Kämpfen sehen sie nichts anderes als die Schlacht um die Pfründe. Um Schmiergelder. Und meistens haben sie recht. Es habe gewisse Unregelmäßigkeiten bei der letzten Ausschreibung gegeben, wurde Staatsanwalt Casson zugetragen. Aber so lange wir keine Indizien für Korruption haben, können wir niemanden beschuldigen, sagt er.

Wenn ich aus unserem Fenster blicke, sehe ich Gerüstarbeiter, die, scheinbar freischwebend, Teile von dem silbrig schimmernden Stahlrohrgerüst über dem Dach der Fenice abmontieren. Ein Teil des Daches steht bereits wieder. Und nicht nur das, sagt der Ingenieur Ricardo Viannello, der mich später durch die Baustelle führt, durch ein Dickicht aus Lüftungsschläuchen, Gerüststangen, Zementsäcken und frischgelegten Mauerverbänden. Die alten Außenwände des Theaters sehen aus, als hingen sie am Tropf: In ihnen stecken Plastikschläuche, in die Arbeiter Zementmörtel in die Mauern einspritzen. Fast zweihundert Bauarbeiter arbeiten hier, in zwei Schichten, sechzehn Stunden lang ist die Baustelle geöffnet.

Zwei Restauratorinnen reinigen die Fresken im Aufgang zur Königsloge, hier ist zwar nichts verbrannt, aber durch das Salz des Löschwassers beschädigt. Rot verstaubte Arbeiter fügen roten Brocatello-Marmor in die halbzerfressenen marmornen Türbögen, er komme aus dem gleichen Steinbruch, aus dem das Original stammt, sagt der Ingenieur, dem an der historischen Genauigkeit gelegen ist. Mehr als hundert Arbeiter arbeiten der Baustelle von außen zu: Vergolder, Stukkateure, Holzschnitzer. Die Bühnenmaschine werde in Deutschland hergestellt, alles sei auf dem neuesten technischen Stand. Der Terrazzoboden werde auch wieder gegossen und geschliffen, allerdings nicht mit Kalk und Marmorsplittern, so wie früher, sondern mit Zement, die Zeit drängt, und Kalk braucht sechs Monate, um zu trocknen.

Der Theaterraum ist noch eine Baugrube, in der ein Bagger Bauschutt zusammenkehrt. Unter der Fenice, und das heißt in Venedig: unter dem Wasserspiegel, wurden eine Löschwasserwanne mit Süßwasser angelegt, und eine Wanne, die das Theater bis zu einem Hochwasser von 1 Meter 90 schützen soll. Der Ingenieur sagt das mit Stolz und hört die Frage nach dem Beton und der Akkustik nicht nur ungern, sondern gar nicht. Hat nicht gerade die Bohrmaschine so laut gekreischt? Wieder ein Stasi-Verhör.

Unser Nachbar, der Conte Marcello, Nachfahre des Komponisten Benedetto Marcello, dessen Familie eine eigene Loge in der Fenice besaß, hatte vorgeschlagen, aus der Fenice lieber gleich eine Riesendiskothek zu machen, schließlich sei das akkustische Wunder der Fenice nicht zu wiederholen. Eine neue Fenice sei nichts anderes als mit Holz ausgelegter Beton. Und Dario Fo sagte, dass ein Auftritt in der Fenice etwas wie ein Auftritt in einer Geige gewesen sei. Aber ob der Resonanzboden einer Geige so viel Stahlbeton vertragen kann?

Anders ginge es nicht, sagt der Ingenieur. Inzwischen hat sich aufgrund des Betongewichts der Boden um das Theater gehoben, die ersten Klagen sind bei der Stadtverwaltung eingetroffen: In den Wänden der umstehenden Häuser sind Risse entstanden.

La Fenice. Wie sie war, wo sie war. Nur ganz neu. Das einzige, was Bauingenieur Viannello Sorgen macht, ist das verdammte Hochwasser, weil dann kein Boot mehr unter den Brücken durchkommt und die Baustelle still steht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, er hätte die Fenice lieber auf einem Felsen wiederaufgebaut.

Im Innern der Fenice kann man das Wasser nicht sehen. Deshalb sieht der Bauingenieur auch nicht, wie sich draußen das Licht in kleinen, hellgrünen Punkten bündelt, die auf dem Kanal tanzen. Es ist Wasser, das lebt. Es röchelt, es kaut, es schmatzt. Es ist Wasser, das Steine frisst.