Kunst. Und Kuhkacke. (Filmfest 2)

Beim Verlassen des Kinosaals habe ich oft das Gefühl, irrsinnig weit weg gewesen zu sein, eingetaucht in anderen Leben, anderen Zeiten, anderen Kontinenten, bis ich wieder in der Lido-Wirklichkeit aufschlage: Pressspandeko, Plastiklöwen und Fotografengeschrei. Jedenfalls ist das bei guten Filmen so, etwa nach „The Danish Girl“ (Transgender-Drama, drei Taschentücher: ja, ja, ich schlichtes Gemüt). Bei schlechten Filmen hingegen kann ich es nicht erwarten, endlich wieder in meiner kleinen, schnöden Wirklichkeit anzukommen. Etwa nach dem schauerlichen L’Attesa, mit Juliette Binoche (die Ärmste, hier  extrem verhärmt) dem ersten italienischen Wettbewerbsbeitrag. Kunstkacke. Jahrhundertelange Einstellungen von Plastikbechern, Härchen und bedeutsamen Blicken. Und Unterwasser-Aufnahmen. Irgendwann ging es nicht mehr.

Aus Francofonia bin ich auch geflohen, dem Wettbewerbsbeitrag des russischen Regisseurs Alexander Sokurov: Arte-Film für Bildungsbürger. Der Louvre gestern, heute, übermorgen – eine Collage. Napoleon und die Marianne stolpern durch die Gänge des Louvre, Nazis und Kollaborateure geistern herum, und ein Schiff wird in rauer See hin- und hergeworfen. Das Ganze unterlegt von einer Erzählerstimme, die Sätze in der Art wie „Kann Europa gerettet werden?“ raunt. Sokurov hat 2011 den Goldenen Löwen mit seinem Film „Faust“ gewonnen – dem ich persönlich zu diesem Sieg verholfen habe, weil ich ihn nicht gesehen habe. Ich bin ein Medium: Es gewinnen immer die Filme, die ich nicht gesehen habe oder aus denen ich geflüchtet bin.

Und sonst? „Neon Bull„, brasilianisches Drama über einen schneidernden Rinderhirten, das ich mir nur angesehen habe, weil ich mir von dem Kontrast aus Rinderhirten und Mode mehr als ejakulierende Hengste und Sex auf dem Schneidetisch mit einer Hochschwangeren versprochen habe. Stattdessen sah ich einen Film über Kuh-Kacke, ein kleines Mädchen in einer der Hauptrollen heißt: „Caca“, über weite Strecken geht es um nichts anderes, so dass an dessen Ende jemand völlig zu Recht „Merda!“ schrie.

Dann schon lieber Mafia. Black Mass: solider amerikanische Mafia-Film. Okay, kein Scorsese, aber ganz nett, mit Johnny Depp als Bostoner Mafiaboss James J. Bulger. 16 Jahre lang untergetaucht, bis er 2011 festgenommen wurde. Ich hätte mir zwar gewünscht, mehr über die Hintergründe der Verbindung von Bulger zu dem FBI-Agenten zu erfahren, der ihn gedeckt hat, also mehr als die übliche Buddy-Geschichte, aber gut. Besser gefiel mir der Film „Italian Gangsters„, true-crime-story über italienische Räuber der 1940-1950er Jahre, Collage aus Filmdokumenten und Spielszenen: Ich befürchtete das Schlimmste. Und war überrascht: guter Schnitt, gute Musik, gute Schauspieler – und ein geradezu anrührendes Portrait über das Nachkriegsitalien. Geht doch.