Gestern wurden in Rom 37 Personen verhaftet, die mit der Mafia zusammengearbeitet haben sollen, darunter der ehemalige römische Bürgermeister Gianni Alemanno, rechte und linke Politiker und Unternehmer, die sich öffentliche Gelder und Aufträge mit Mafiosi jeder Couleur und Rechtsextremisten aufgeteilt haben. Die Ermittlung trägt den schönen Namen „Zwischenwelt„, weil einer der verhafteten Mafiosi in einem abgehörten Telefonat sagte:
„Das ist die ‚Theorie der Zwischenwelt ‚… Oben sind die Lebenden und unten sind die Toten … und wir sind dazwischen. Wir sind dazwischen, weil auch die Personen, die sich in der oberen Welt befinden, ein Interesse daran haben, dass jemand aus der unteren Welt Sachen erledigt, die niemand anderes machen kann. Das ist es: Alles vermischt sich miteinander.“
Eine bessere Definition gibt es nicht, für Italiens Gegenwart.
Liebe Frau Reski,
das ist eine verspätete Antwort auf Ihren Blogeintrag zur „Zwischenwelt“. Auch mir ist dieses Zitat sehr aufgefallen – allerdings nicht nur als erschreckend zutreffende Zeitdiagnose eines Mafia-Akteurs, sondern auch als Aussage, die auf einem tiefen religiösen Unterfutter beruht:
In denselben Begriffen hat man mir bei meinen Feldforschungen in süditalienischen Dörfern oft das Verhältnis zwischen Gott, den Heiligen und den Menschen erklärt, als eine Zwischenwelt, wie die Welt der „Anwälte“ oder auch der „Lehrer“, die den „kleinen“, fast des erstens und Schreibens unkundigen Bauern eine Hoffnung darauf geben den Apparaten von Medizin, Versicherungen, Justiz usw. ein Schnäppchen schlagen zu können. In dieser Hoffnung liegt die Kraft der Mafia, im Namen dieser kleinen Hoffnungen kann sie Menschen zum wegsehen, Mitmachen und Töten festhalten.
Die Menschen (also die Toten, die Unterdrückten oder die, die als Totengeister nach ihrem Tod umher irren) suchen die Nähe der Heiligen – diese haben den Zugang zu Gott, daher spricht man von „Fürbitte“. Die übermächtig vorgestellten Heuligen sprechen für die Toten und die Lebenden dort Unten. das ist mittelalterliches Denken, also Denken des Feudalzeitalters, das eindeutig im italienischen Klientelismus weiter lebt: Als Praxis der „Paten“ (auch das eine religiöse Begrifflichkeit). Als religiös getönte Beschreibung eines fatalistischen Bildes der geschichteten Gesellschaft, in der jeder „Kleine“ einen „Großen“ sucht, der ihn beschützt, aber auch als Schilderung des Lebens der „Kleinen“, deren Welt dort „unten“ wie eine Art Vorhölle funktioniert, in der man nicht wirklich leben kann, sich entfalten kann und allzu schnell tot ist, wenn man sich nicht an die Regeln hält – ohne diesen letzten Aspekt würde die Abwandlung des katholischen Weltbildes durch Carminati gar keinen Sinn machen. Damit reiht sich Italien in die klientelistischen Totenhäuser der Welt ein, von Brasilien über Mexiko bis Ägypten, Griechenland und Russland, und in allen diesen Ländern kann man übrigens begabte Kriminelle oder auch korrupte Politiker finden, die einem ähnliche religiös-fatalistische Botschaften vermitteln wie der Boss der Mafia Capitale.