Filmfest II. La Trattativa

Es liegt nicht nur an der italienischen Wirklichkeit, dass die drei Filme, die mich am meisten beeindruckt haben, alle drei das Thema Mafia zum Gegenstand haben: Der erste ist der Wettbewerbsbeitrag Belluscone des sizilianischen Regisseurs Franco Maresco: Ein Film, der eigentlich eine Farce ist, eine Groteske, die nicht nur das unrettbar (?) der Mafia verfallene Subproletariat Palermos samt der dazugehörigen Mafiamusikpropaganda (die sogenannten Neomelodici) zeigt, sondern auch das junge, aufstrebende Bürgertum, das die Mafia für ein Naturphänomen wie Wind oder Regen hält, dem man sich zu beugen hat – und für das die Ermordung der beiden Antimafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino so weit weg ist wie Napoleons Russlandfeldzug.

Der zweite ist der frisch restaurierte italienische Klassiker Todo modo (1976) von Elio Petri, (hier auf youtube). Ein Klassiker – der, wie die Witwe Elio Petris bei der Vorführung betonte, gleich zwei Monate nach seiner Premiere aus den Kinos verschwand. Todo Modo – oder das Spiel um die Macht  basiert auf der Novelle von Leonardo Sciascia und ist eine atemberaubende Parabel über die Macht und den Zynismus der politischen Klasse Italiens – die man vierzig Jahre später quasi unverändert in dem außerhalb des Wettbewerbs laufenden Film der italienischen Dokumentarfilmerin Sabina Guzzanti wiederfindet: La Trattativa heißt ihr Film, (hier der wunderbare Trailer) auf deutsch „Die Verhandlungen“. Gemeint sind die Verhandlungen zwischen dem italienischen Staat und der Mafia, die 1992 zur Ermordung der beiden Antimafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino und zu einer Attentatswelle führte, an deren Ende der Aufstieg von Berlusconi stand.

Die Trattativa bestimmt die italienische Politik bis zum heutigen Tag: Für Sabina Guzzantis Aussage, dass auch Matteo Renzi eine der „Früchte“ dieser Verhandlungen zwischen Staat und Mafia sei, wurde die Regisseurin von den Politikern von Forza Italia bis PD sofort gegeißelt. Was aber nichts daran ändert, dass es, gelinde gesagt, etwas bizarr anmutet, wenn Renzi es für opportun hält, sich mit niemand anderem als mit dem vorbestraften Gewohnheitsverbrecher Silvio Berlusconi an einen Tisch zu setzen, um eine – nennen wir sie – „Reform“ der Verfassung zu erarbeiten, wie auch ein neues Wahlrecht.

Sabina Guzzanti, die einigen vielleicht als Autorin des Dokumentarfilms Dracula in Erinnerung ist, zeigt in ihrem Film „La Trattativa“ wie sich Mafiabosse, Minister, Staatspräsidenten, hohe Beamte, Geheimdienstler und Freimaurer wie langjährige, vertraute Geschäftspartner besprechen, um wieder an den Punkt der friedlichen und fruchtbaren Zusammenarbeit zurückzukehren, an dem sie sich befunden haben, als Ende der 1980er Jahre alles aus dem Gefüge geriet: Die Mauer fiel, die etablierten Parteien gingen in Folge des Korruptionsskandals unter, die Urteile des Maxiprozesses wurden nicht wie gewohnt „zurechtgerückt“, sondern in letzter Instanz bestätigt.

Der Film ist eine Collage aus gespielten Szenen – die zum Teil so grotesk anmuten, wie die italienische Wirklichkeit der letzten 25 Jahre, außerdem sind Interviews mit Staatsanwälten, angeklagten Ministern und abtrünnigen Mafiosi zu sehen, sowie dokumentarisches Material, wobei die Szenen von der Beerdigung von Falcone und Borsellino sicher zu den eindringlichsten gehören. Alles, was in dem Film vorkommt, ist – leider – wahr. Belegt mit Bergen von Prozessakten und Ermittlungsunterlagen. (Hier spreche ich im Deutschlandradio über den Film)

Die Trattativa, die Verhandlungen zwischen dem italienischen Staat und der Mafia, sind mehr als ein Film: Sie sind Vergangenheit, Gegenwart und – falls nicht endlich etwas passiert – auch die Zukunft Italiens. Besonders gut gefiel mir, wie Sabina Guzzanti am Ende des Films feststellt, was diese Verhandlungen zwischen Staat und Mafia für jeden einzelnen Italiener bedeuten. Denn die Herrschaft einer politischen Klasse, die sich mit der Mafia verbrüdert hat, hat einen moralischen Verfall ohnegleichen zur Folge gehabt: Korruption wurde zum Kavaliersdelikt, die Umwelt bedenkenlos zerstört  – und der Opportunismus Intelligenz genannt. Ich möchte diesen Film allen ans Herz legen, die Italien lieben und hoffe, dass er auch in Deutschland ins Kino kommt.