Der Verschorfte

1964917_691813294209152_2089021655_n Bereite mich schon jetzt seelisch und moralisch auf die nächste Renzi-Lobeslawine vor, die über den wehrlosen deutschen Zeitungsleser hinwegrollen wird. Etwas in der Art von „Renzis einsamer Kampf gegen die Korruption“/“Super-Renzis erbarmungslose Jagd auf Steuersünder“. Und dann wird darüber berichtet, dass unser Held (vulgo: der einstige selbsternannte Verschrotter – die Autokorrektur wollte mir der Verschorfte unterjubeln, auch schön) – mal wieder zugeschlagen hat, dieses Mal mit dem Vorschlag (denn um nichts anders handelt es sich), dass Freiberufler mit Kundenverkehr (Anwälte und Handwerker) in Italien zukünftig ihre Honorare über 30 Euro nur noch per Kreditkartenbezahlung entgegennehmen sollten.

Ja, richtig gelesen. Es handelt sich um eine Empfehlung. Oder um, wie die Zeitung „Il Fatto Quotdiano“ es inzwischen nennt: eine Renzi-typische Super-Cazzola. Eine weitere Renzi-Luftblase. Ein weiteres Renzi-Versprechen.

Wenn Renzi etwas verspricht, kann es zu allem möglichen kommen, zu Ufo-Landungen, Wunderheilungen – nur nicht zu dem, was er versprochen hat. Verspricht er eine Justizreform, dann handelt es sich um nichts anderes, als um die Fortsetzung von B.’s jahrzehntelangen Kampf gegen die Richterschaft mit anderen Mitteln: Das erste, was zwangsläufig geändert werden muss, sind so wesentliche Dinge wie die Haftdauer (muss gekürzt werden), die Abhörpraxis (muss eingeschränkt werden), die Immunität der Parlamentarier und Senatoren (muss garantiert bleiben). Verkündet Renzi, in Brüssel ganz, ganz hart verhandelt und den Fiskalpakt aufgeweicht zu haben, um endlich die Konjunktur in Italien mit öffentlichen Aufträgen anzukurbeln (Schöne Beispiele für die Konjunkturankurbelung dank öffentlicher Aufträge: der Schmiergeldskandal um die venezianische Hochwasserschleuse MOSE oder die von der ‘Ndrangheta unterwanderte Expo), bedeutet das: Renzi hat Angela Merkel freundlich angelächelt und ansonsten das garantiert, was bereits Monti und Letta garantiert haben, nämlich weiter zu sparen.

Gespart wird in Italien am Gesundheitssystem, an der Kultur, am Denkmalschutz, am Bildungssystem und nicht an den Gehältern öffentlicher Bediensteter – in Sizilien liegt das Jahresgehalt eines leitenden  Beamten der Regionalverwaltung zwischen 370 000 und 550 000 Euro jährlich – auch nicht an den Gehältern der Politiker. Und so erklärt sich auch die Zustimmung für Renzi bei den letzten Wahlen – die, wenn man die geringe Wahlbeteiligung berücksichtigt, gar nicht so hoch ist: für Renzi haben diejenigen gestimmt, deren Wohlstand von öffentlichen Geldern gesponsort wird: 20 Millionen Italiener, fast die Hälfte der Wähler ist bei den Europawahlen zu Hause geblieben, womit Renzi de facto lediglich von einem Viertel der Italiener gewählt wurde.

Und das entspricht ungefähr dem Heer von Beamten, Politikern und politischen Parteien nahestehenden Unternehmern, die das Milliardenloch an Steuergeldern verursacht haben und weiter davon profitieren. Aber das eigentliche Wunder (wir befinden uns im Land der Marienerscheinungen) besteht darin, dass Renzis heiße Luft nicht nur von den italienischen Medien, sondern auch von den deutschsprachigen weitergeblasen wird. Niemand verpasst die Gelegenheit, das Wort „jung“ im Zusammenhang mit Renzi hervorzuheben. Aber das Lebensalter allein ist noch keine Qualität. Man kann auch beides sein: Jung+angepasst, jung+opportunistisch, jung+blöd. Bei den italienischen Medien kann ich die Renzi-Lobhudelei  noch nachvollziehen, schließlich sind diejenigen, denen die Zeitungen gehören (Parteien und Parteien nahestehende Industrielle) daran interessiert, dass sich in Italien nichts ändert. Und Renzi ist der Garant dafür.

Aber was, verdammt noch mal, haben die deutschen Medien davon, diesen Mist gebetsmühlenartig zu wiederholen?

 

P.S.: Heute haben im Parlament alle Parteien außer der Fünf-Sterne-Bewegung und SEL für die Immunität der Senatoren gestimmt.