Gerade zurück aus Palermo und Südwestsizilien, das wie eine romantische Etappe der Grand Tour anmutet, weshalb man etwas erstaunt ist, wenn man hier nicht auf elegante englische Adelige, sondern auf Touristen mit Basecaps und Rucksäcken trifft.
Selinunt hat mich umgehauen. Obwohl all das, was ich schön fand – die Säulen der Tempel (1958 wieder aufgebaut, ohne viel Federlesens befestigt mit Zement und Eisenstangen), das Unkraut (sehr schönes fliederfarbenes), die wilden Hunde, das Gefühl, aus der Zeit gefallen zu sein – den Archäologen und Denkmalschützern natürlich die Haare zu Berge stehen läßt: Selinunt ist eines von unzähligen gefährdeten Kulturgütern in Italien und befindet sich auf der roten Liste des Kulturschutzbundes „Italia Nostra“.
Das Ausgrabungsfeld von Selinunt liegt auf dem Gebiet zweier Städte: Castelvetrano und Campobello di Mazara. Keine leichte Nachbarschaft. Castelvetrano ist nicht wegen seiner Nähe zu Selinunt, sondern zu Matteo Messina Denaro berühmt, dem meistgesuchtesten Mafiaboss in Italien, der hier aufwuchs und heute die Nummer eins von Cosa Nostra ist. Messina Denaro ist seit 1993 flüchtig, dem Jahr der von ihm organisierten Mafia-Attentate in Rom, Mailand und Florenz. Seinen Strohmännern wurden zuletzt 3,5 Milliarden Euro beschlagnahmt. Und der Stadtrat von Campobello di Mazara wurde 2012 wegen Mafia-Infiltrationen aufgelöst. Na ja. Das nur nebenbei.
Wenn man in Castelvetrano lebt, findet man es natürlich nicht so toll, immer das auf sich klebende Etikett der „Stadt von Matteo Messina Denaro“ zu spüren. Deshalb hat Matteo Messina Denaro verfügt, dass in seiner Heimatstadt kein Schutzgeld erpresst werden darf. Da sage noch einer, dass ein Mafiaboss kein Herz hat.
Einer, der in Castelvetrano darüber in seinem Blog schreibt, ist Egidio Morici. Als er ein Kind war, nannte man den Besuch in Selinunt: „Gehen wir mal wieder Trümmer gucken.“