Ich habe einen Roman geschrieben. Und seitdem er fertig ist, befinde ich mich in einem seltsamen Übergangsstadium, ich bin fertig, aber doch nicht so richtig, weil der Roman erst im Herbst erscheint. Ich befinde mich im Limbus, wie man in Italien sagt, also jenem Ort, an dem die Seelen leben, die ohne eigenes Verschulden vom Himmel ausgeschlossen sind. In einer Art Vorhölle.
Bis vor kurzem war mein ganzes Leben von DEM BUCH bestimmt, ich ging mit DEM BUCH schlafen und wachte mit DEM BUCH auf und machte mir Notizen. Wegen DES BUCHS änderte ich meine Lebensgewohnheiten, ich wurde zur Frühaufsteherin, zur Auf-leeren-Magen-Schreiberin, ich reiste nur noch wegen DES BUCHS und machte nur dann Urlaub, wenn ich sicher war, dass ich auch dort an DEM BUCH weiter schreiben konnte. Ich schrieb in zugigen Hotelhallen, am Strand, mit nackten Füßen auf Tuffstein, im Zug, im Bett, am Küchentisch und auf dem Sofa, ich sagte Familienfeiern und Treffen mit Freunden mit Verweis auf DAS BUCH ab, weshalb sich meine amerikanischen Freunde in ihren Mails nicht mehr nach meinem Befinden erkundigen, sondern fragen: How is THE BOOK doing?
Auch meine italienischen Freunde fragen nicht mehr come va?, sondern: Come va con IL LIBRO?, weil sie mir damit einen Gefallen tun wollen. Es ist wie mit einem Liebhaber, den noch keiner gesehen hat. Am Anfang verheimlicht man ihn, weil man nicht weiß, ob es überhaupt eine Liaison ist und wenn ja, wie sie weitergeht. Und dann, wenn man festgestellt hat, dass der Typ tatsächlich keine Manien hat, kein Gummifetischist ist und auch kein analer Charakter, sondern einer, mit dem man lachen kann, der gut riecht und mit dem auch die restliche chemisch-physische Verbindung stimmt, wenn man also das Stadium der Verliebtheit erreicht hat, (der Schriftsteller Alberto Savinio schrieb dazu einmal den schönen Satz: Wenn man den Geruch akzeptiert hat, hat man die rationale Phase überwunden) dann möchte man ihn eigentlich allen vorstellen, aber man muss sich noch gedulden, auf die passende Gelegenheit warten, auf die goldene Hochzeit der Großmutter, die Taufe des Patenkindes, den 60. Geburtstag eines guten Freundes.
Und was mache ich bis dahin? Ich greife zur einfachsten Lösung. Ich lege mir einen neuen Liebhaber zu.
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