Väter. Und Söhne.

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Ich habe einen Ausflug in den Salento gemacht, nach Apulien, Italiens Stiefelabsatz – um im Theater der kleinen Stadt Galatina ein Gespräch mit Massimo Ciancimino über seinen Vater zu führen(Hier der Web-Mitschnitt. Das Thema „Väter“ – Padre Padrone – wurde auch von einigen Schülern aus Galatina in Szene gesetzt).

Zum Thema Väter hat Massimo Ciancimino einiges zu sagen. Er ist der jüngste Sohn des ehemaligen Bürgermeisters von Palermo, Vito Ciancimino. Der wegen Mafiazugehörigkeit verurteilt wurde. Massimo hat über seinen Vater ein lesenswertes Buch geschrieben, dass auch auf Deutsch übersetzt wurde: Don Vito. Mein Vater, der Pate von Palermo.

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Ich habe Massimo Ciancimino vor fünf Jahren zum ersten Mal interviewt – damals sagte er, dass er bei der Beerdigung seines Vaters versucht habe, sich an ein schönes gemeinsames Erlebnis mit seinem Vater zu erinnern. Es ist ihm nicht gelungen. Ich habe unsere Begegnung in meinem Buch „Von Kamen nach Corleone“ geschildert:

  • „Sein Vater behandelte ihn wie einen persönlichen Besitz. Er benutzte seinen Sohn als Sekretär, Fahrer und Gesellschafter. Als Don Vito wegen der Zusammenarbeit mit der Mafia von Palermo in die Verbannung nach Rotello geschickt wurde, in ein Tausendseelendorf der Region Molise, ein Dorf, in dem die Zeitungen erst am nächsten Tag ankamen, war es Massimo, der ihm dort Gesellschaft leisten musste. Als Don Vito im römischen Gefängnis Rebibbia seine Strafe absaß, war es Massimo, der keine der wöchentlichen Besuchszeiten versäumte. Und wenn sich sein Vater mit Bernardo Provenzano traf, jenem legendären flüchtigen Gottvater der Cosa Nostra, der vierzig Jahre lang unentdeckt in Italien lebte, bis er im April 2006 verhaftet wurde, war es Massimo, der seinen Vater zu den Treffen fuhr. Massimo kannte Bernardo Provenzano anfangs nur als Signor Lo Verde – bis er eines Tages beim Friseur in der Zeitschrift Epoca das Phantombild von Provenzano sah. Und begriff, dass der freundliche Herr, der oft bei seinem Vater zu Besuch war, der mit ihnen Pizza aß, der ihm in die Wange kniff und der Frieden zu stiften versuchte, wenn sich Vater und Sohn mal wieder gestritten hatten, die Nummer eins der Cosa Nostra war. »Sei vorsichtig: Es gibt Dinge, vor denen selbst ich dich nicht schützen kann«, sagte Don Vito damals zu seinem Sohn Massimo, nachdem er bemerkt hatte, dass Massimo den Signor Lo Verde auf dem Fahndungsfoto erkannt hatte.“

Wie oft wird sich Massimo an die Worte seines Vaters erinnert haben, nachdem er vor Gericht seine Aussagen gemacht hat? Nachdem er Kartons mit Notizen seines Vaters und mit von Bossen handgeschriebenen Zetteln in die Staatsanwaltschaft von Palermo getragen hat und seitdem von den journalistischen Hofhunden der Mächtigen verhöhnt, diskreditiert und verleumdet wird? Es sei ihm nur darum gegangen, seine Gefängnisstrafe wegen Geldwäsche zu tilgen, heißt es. Oder: Seine einzige Absicht sei gewesen, den von seinem Vater angehäuften Schatz in Sicherheit zu bringen. Tatsächlich wurde Massimo Ciancimino wegen Geldwäsche angeklagt, als einziger von den fünf Ciancimino-Kindern. Die Strafe belief sich auf fünf Jahre und acht Monate. Bei guter Führung hätte er das Gefängnis nach drei Jahren verlassen können. Niemand hätte ihn dann daran hindern können, danach auf die Bahamas zu gehen und dort den vermeintlichen Schatz seines Vaters zu genießen. Einer der Geheimagenten, die bei seinem Vater ein- und ausgingen, riet ihm, ruhig zu sein und zu schweigen – dann würde sich alles in Luft auflösen. Massimo Ciancimino schwieg jedoch nicht. Dafür muss er einen hohen Preis bezahlen.

Dank der Aussagen des Mafia-Aussteigers Gaspare Spatuzza und von Massimo Ciancimino kam es überhaupt zum Prozess um die Trattativa, den Verhandlungen zwischen dem Staat und der Mafia: Anders als die Kinder der Mafiabosse Bernardo Provenzano oder Totò Riina, hat Massimo Ciancimino die Geheimnisse seines Vaters den Staatsanwälten mitgeteilt, er erzählte, was sein Vater bei den Treffen mit dem Boss Bernardo Provenzano besprach und beschrieb, welche Richter, Politiker, Mafiosi, Polizisten und Geheimagenten im Salon von Don Vito ein- und ausgingen. Und seitdem wird Massimo verklagt, verfolgt und bedroht: Er sei ein Toter, der spricht, un morto che parla, so nennt es die Mafia, wenn sie jemanden geächtet hat, weil er ihre Geheimnisse verrät.

Wie brisant Massimo Cianciminos Aussagen für die politische Klasse Italiens sind, war auch an diesem Abend in Galatina zu spüren, als der Bürgermeister bei seinen – sparsamen – einleitenden Worten von den „angeblichen“ Verhandlungen zwischen Staat und Mafia sprach – als könne man die Wirklichkeit so zurechtrücken: Die Existenz der Verhandlungen zwischen Staat und Mafia ist jedoch bereits gerichtlich bestätigt worden. Da hilft auch kein „angeblich“ mehr.

Eine Frau aus dem Publikum fragte dann noch wütend, warum Massimo Ciancimino seinen Sohn denn ausgerechnet „Vito Andrea“ genannt habe – Subtext: Dann kann es mit seiner Distanzierung von der Mafia ja nicht so weit her sein. Massimo Ciancimino betonte, dass er seinen Sohn aus Protest so genannt habe, weil sein Vater verboten habe, seinen Namen zu benutzen.

Ich glaube, dass Massimo Ciancimino seinen Vater trotz allem geliebt hat – und seine Liebe vor allem durch seinen mutigen Schritt beweisen wollte, damit der Name Ciancimino nicht mehr nur für den mafiosen Bürgermeister von Palermo steht, sondern auch für seinen  Sohn – der darüber ausgesagt hat, welche Politiker und Staatsdiener sich mit der Mafia gemein machten.

 

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