Es war einmal mein Lieblingsradio

Ich weiß noch, wie froh ich war, als ich Mitte der 1990er Jahre Radio Capital entdeckte, den Radiosender der Espresso-Repubblica-Pressegruppe. Damals hatte man in Italien nur die Wahl zwischen Dudelradios oder Hochkultursendern mit Orgelmusik und Wortbeiträgen von zwei Stunden Länge. Endlich ein guter Sender, dachte ich, weil mich Radio Capital an die Mischung meiner deutschen Lieblingsradiosender erinnerte: (nicht allzu dämliche) Popmusik vermischt mit Information. Das war zu einer Zeit, als B. unangefochten herrschte, und sich die PD noch als Opfer des bösen, bösen B. stilisieren konnte, schon aus dem einfachen Grunde, weil es keine einzige Zeitung gab, die nicht entweder B. gehörte oder der PD nahestand (wie auch die gesamte Espresso-Repubblica-Pressegruppe). Weshalb ich meine Zweifel an dem Willen der Linken (wenn sie denn einen solchen Namen überhaupt verdienen) B. ernsthaft zu bekämpfen, damals nur mit wenigen Erleuchteten teilen konnte,  mit dem Philosophen Paolo Flores D’Arcaismit dem Netz, den Büchern von Marco Travaglio und mit Antimafia-Staatsanwälten, die mit Bestürzung sahen, wie Linksdemokraten in schönster Harmonie mit B. Antimafia-Gesetze abschafften.

Auf Radio Capital war von den Niedrigkeiten der Linken naturgemäß nichts zu hören, man tat so, als sei alles dem hehren B.-muss-weg-Ziel untergeordnet. Und B. selbst mästete die Anti-B.-Propaganda mit immer neuen Leckerbissen, zu den Mafiaverstrickungen, Korruptionsanklagen, Richterbestechungen etc.pp. kamen auch noch die Hürchen hinzu, die breitesten Raum im Programm von Radio Capital einnahmen – auch weil man so schöne Jingels aus B.’s abgehörten Telefongesprächen  basteln konnte. Schließlich ist es viel lustiger, B. beim Geschnurre mit den Nüttchen zuzuhören, als zu erklären, warum die Abgeordneten der PD das gewaltige Steueramnistie-Gesetz unterstützten, das ermöglichte, im Ausland geparktes Schwarzgeld gegen einen geringen Obolus von fünf Prozent wieder nach Italien zurückzuholen. Ein maßgeschneidertes Gesetz für Steuerflüchtlinge, Bilanzfälscher und vor allem für die Mafia.

In Deutschland habe ich in einer gewissen splendid isolation über die Verantwortung der PD am desolaten Zustands Italiens geschrieben, nicht nur in diesem Blog und in Artikeln (Das Land, das ich leider liebe), sondern auch in meinen Büchern, in „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ und zuletzt in „Von Kamen nach Corleone“ (Eigen-PR, ganz klar, da müssen Sie jetzt durch, ich lebe vom Schreiben).

Radio Capital gehört wie die gesamte Espresso-Repubblica-Pressegruppe dem italienischen Industriellen (mit Schweizer Pass, zur Sicherheit) Carlo De Benedetti. Wie sehr De Benedetti samt seinem Presseimperium Politik für die PD macht, wurde in der letzten Zeit an zwei kleinen, aber sehr bedeutsamen Beispielen deutlich: So enthüllte der amerikanische Journalist Alan Friedman, dass Präsident Giorgio Napolitano schon im Juni 2011, vier Monate vor Berlusconis Fall, beabsichtigte, den Wirtschaftsprofessor Mario Monti als Ministerpräsident einzusetzen. Unter anderem kam es im August 2011 in Sankt Moritz zu einem Treffen zwischen De Benedetti und Mario Monti , in dessen Verlauf De Benedetti Monti darin bestärkt habe, das Angebot des italienischen Staatspräsidenten Napolitano anzunehmen, Italiens nächster Ministerpräsident zu werden. Nur zur Erinnerung: Das war zu einer Zeit, als der Spread noch gar nicht in die Höhe geschossen und Silvio Berlusconi noch rechtmäßig gewählter Ministerpräsident war: Da informierte Giorgio Napolitano bereits Carlo De Benedetti darüber, Monti zu B.’s Nachfolger bestimmt zu haben – selbstverständlich ohne dass die Italiener nach einer Meinung gefragt worden wären.

Die andere Episode spielte sich vor kurzem ab, während Renzis Minister-Lottospiels: Da legte ein Radiosender den als zukünftigen Wirtschaftsminister gehandelten Fabrizio Barca herein – Barca glaubte, mit dem befreundeten Politiker Nichi Vendola zu sprechen und ließ seiner Frustration über Renzi und dessen zukünftige Regierung freien Lauf („Sie haben keinen Hauch von einer Ahnung, es ist das Nichts, das absolute Nichts“). Unter anderem beschwerte sich Barca darüber, dass Carlo De Benedetti dank seiner Journalisten und seiner Zeitungen Druck auf ihn ausübe, den Ministerposten anzunehmen: „Er (De Benedetti) merkt nicht, dass alle meine Sorgen bestätigt werden, wenn ich einen Unternehmer hinter einer politischen Aktion bemerke. Ein Unternehmer, der eingreift.“

Gerne würde ich in der deutschen Qualitätspresse mal etwas über Di Benedettis Rolle und die seines Presseimperiums lesen, aus der viele Korrespondenten in copy&paste-Manier ihre Informationen beziehen. Aber zurück zu Radio Capital: Schon während des Wahlkampfs 2013 schossen B. und die PD (und damit  99,9 Prozent der italienischen Medien) eifrig gegen die Fünf-Sterne-Bewegung, Radio Capital entblödete sich nicht, ein Interview mit Silvio Berlusconi zu führen – eine Großherzigkeit, die ich angesichts eines Mannes, der über 80 Prozent der italienischen Medien verfügt, für leicht übertrieben hielt – und das auch auf der Facebook-Seite von Radio Capital äußerte. Mein Anti-B.-Kommentar wurde sofort gelöscht.

Nach dem Einzug der 163 Fünf-Sterne-Abgeordneten in das italienische Parlament wird die „linke“ italienische Presse von einem Furor getrieben, den ich mir beim Kampf gegen B. gewünscht hätte. Bei Radio Capital tut sich Chefredakteur Vittorio Zucconi besonders hervor, eine Art Briefkasten-Onkel: Hörer können auf einem Band Fragen hinterlassen und Zucconi erklärt ihnen die Welt – in der Art des roten Großvaters. Seitdem die Fünf-Sterne-Bewegung im italienischen Parlament zeigt, dass man sehr wohl Opposition betreiben kann – sozusagen worst case für die PD – hat Zucconi Schaum vor dem Mund. 

Seit jener Zeitenwende in Italien höre ich nur Callas-Arien oder Rossini-Ouvertüren.