Beuge dich wie der Schilf, bis die Welle über dich hinweggezogen ist

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Und jetzt, wo die Journalisten und Kamerateams wieder aus Venedig abgereist sind, Bürgermeister Orsoni und sein Partei-Buddy, der Chef der Hafenbehörde Paolo Costa, den kleinen Shitstorm abgeschüttelt haben, den die Demonstration der Kreuzfahrtschiffgegner international ausgelöst hat, die Minister sich als Kreuzfahrtschiffsgegner der ersten Stunde outeten, ihre Lippenbekenntnisse umfangreich im Corriere della Sera, in der Repubblica, im Gazzettino etc. pp. abgeben konnten, und jeder der Demonstranten, die ins Wasser gesprungen sind, mit einer Geldstrafe von 2000 Euro belegt wurde, ist  wieder Ruhe im venezianischen Karton.

Pazienza, sagt der Bürgermeister, Geduld, Geduld! Im Oktober werde neu verhandelt. Es handelt sich dabei um eine Technik, die bereits häufig erfolgreich angewendet wurde, unter anderem bei dem umstrittenen Verkauf der deutschen Handelsniederlassung, dem Fondaco dei Tedeschi an Benetton. Man spielt auf Zeit, bis niemand mehr hinsieht. Und zieht dann alles durch. Càlati juncu chi passa la china, sagt man in Sizilien: Beuge dich wie der Schilf, bis die Welle über dich hinweggezogen ist – um dich dann wieder aufzurichten. Ein wertvoller Ratschlag. Schließlich trat die Mafia das erfolgreichste Geschäftsmodell aller Zeiten von Sizilien aus seinen Siegeszug in die Welt an.

Die Kreuzfahrtschiffgegner fordern, den Riesenschiffen die Passage durch die Lagune zu verbieten und fordern seriöse wissenschaftliche Studien, die nicht nur die Umweltverträglichkeit des Schiffsverkehrs in der Lagune prüfen sollen, sondern auch, wie viele Touristen Venedig überhaupt vertragen kann. (Im fernen Jahr 1989 gab es dazu eine Studie, die eine Höchstgrenze von 12 Millionen Touristen festlegte, heute sind wir bei 30 Millionen angelangt.)

Alle anderen wollen genau das verhindern. Entweder, indem sie einen neuen Kanal graben lassen wollen (der das Problem nicht löst, aber die Schiffe, nach dem Motto: Aus den Augen aus dem Sinn – hinter den Kanal der Giudecca führen und die bereits beschädigte Lagune weiter zerstören würde) oder ein Terminal in Marghera bauen möchten: Klar ist, dass sich hier niemand den Knochen wegnehmen lassen will.

Die Kreuzfahrtschiffbefürworter (die auf ihrer Homepage nicht mit einem der King-Kong-Monsterschiffe, sondern mit einem hübschen, zarten Dreimaster für ihre Sache werben) riefen zur „spontanen“ Demonstration vor dem Rathaus auf, die, wie ein venezianischer Stadtrat bemerkte, von Spontaneität sehr weit entfernt war: Auf die im Hafen Beschäftigten sei massiver Druck ausgeübt worden, an der Demonstration teilzunehmen. So seien per mail falsche Informationen verbreitet  („Wenn die Schiffe nach Marghera verlegt werden, gibt es keine Arbeit mehr“), die Leute eingeschüchtert  („Wir wollen Euch alle sehen, mitsamt Freunden und Verwandten, auf dem Spiel steht nicht nur unsere, sondern auch Eure Arbeit“) und, wenn alles nichts nützte, auch bezahlt worden: „Hallo, die Demonstration vor dem Rathaus gilt als Arbeitstag! Bezahlt! Verbreite diese Information bitte weiter und bestätige Deine Teilnahme!“

Dass die Kreuzfahrtschiffs-Verteidiger bei der Bekämpfung der Gegner nicht zimperlich sind,  musste auch der venezianische Schriftsteller Roberto Ferrucci am eigenen Leib erfahren: Nachdem er am 22. Juli ein Foto (siehe oben) veröffentlichte, das zeigte, wie sich die MS Carnival dem Ufer gefährlich näherte, wurde er nicht nur verklagt, sondern auch von Privatdetektiven verfolgt. Die herausbekommen sollten, wie es geschehen konnte, dass Ferrucci dieses Foto machen konnte.

Das überraschende Ergebnis: Weil er seinen Espresso seit zehn Jahren in der Bar am Ufer trinkt.