Filmfest VI. (Walesa)

Heute morgen sah ich Andrzej Wajdas Film über Lech Walesa – einen Film, den ich sehr mochte. Vielleicht kein revolutionäres Kunstwerk, aber auch keine Hagiographie. Sondern einfach nur die Geschichte eines sturen, bauernschlauen und mutigen Elektrikers. Dem richtigen Mann im richtigen historischen Augenblick.

Ich selbst verdanke Walesa einiges. Ich verdanke ihm, dass ich als Journalistin nach Polen geschickt wurde und zum ersten Mal darüber nachgedacht habe, was dieses Land mit mir zu tun hat. Ich verdanke Walesa, dass ich auf der Rückfahrt des letzten Interviews mit ihm zum ersten Mal das Dorf besucht habe, in dem mein Vater aufgewachsen ist. Und dass ich schließlich das Buch „Ein Land so weit“ schrieb.

Im Winter 1988 warteten wir im Hof der Danziger Brigittenkirche darauf, Walesa interviewen zu dürfen, in Danzig wurde gegen die Schließung der Leninwerft demonstriert, ich war aus Warschau gekommen, obwohl ich beim polnischen Informationsministerium (ja, so etwas gab es damals) nur beantragt hatte, eine Reportage über die Jugend im Ostblock zu schreiben. Jeden Tag wurde in Danzig demonstriert, es wurde mit Tränengas geschossen, und ein Mal hatte ich mich mit drei alten Damen irgendwo im Danziger Chaos auf eine Bank gerettet und von ihnen überzeugen lassen, auf Polnisch „Rakowski ist ein Judas“ mitzuschreien.

Danach kam ich immer wieder.

Im Jahr 1996 habe ich Lech Walesa zum letzten Mal interviewt. Da war er nicht mehr Staatspräsident, sondern nach Danzig zurückgekehrt, wo er die Übersetzerin und mich in seinem kleinen Büro empfing. Walesa saß hinter seinem Schreibtisch und blickte auf uns wie ein König auf seine Bittsteller. Sein Büro glich einer Mönchszelle. Außer einem Kreuz, das über seinem Kopf schwebte, schmückte nichts das Zimmer, im Regal stand kein Buch, auf dem Tisch lag keine Zeitung. Auf dem Schreibtisch ruhten nur seine Insignien: ein blauer Solidarnosc-Kalender, ein Bernsteinbrocken und eine große Steinguttasse mit dem Solidarnosc-Abzeichen, in der ein Beutel Kräutertee zog.

Walesa wartete nicht auf meine Fragen. Er hielt wie immer einen Monolog.

„Ohne meine und ohne die polnische Beteiligung wäre die Mauer nicht gefallen“, sagte er. „Zwar haben das andere verwirklicht, aber ohne uns wäre es nicht möglich gewesen. Und die vollständige Auflösung des Warschauer Paktes, das ist auch mein Verdienst. Es gibt viele, viele andere Dinge – natürlich nicht alles. Ich bin etwas müde, ich habe die Frage vergessen.“

Ich fragte ihn nach seinem Tagesablauf. Er sagte: „Ich arbeite so lange ich will, ich treffe diejenigen, die ich treffen will, und wenn es mir nicht passt, dann beenden wir das Interview, und ich gehe nach Hause.“ –  „Oh, das hoffe ich nicht“, sagte ich.  “ … und es gibt keinen Skandal“, sagte Walesa. „Wenn ich das als Präsident getan hätte, hätte es einen Skandal gegeben. Jetzt mache ich das kostenlos, aus freiem Willen – es ist eine sehr bequeme Lage.“

Mit den Kenntnissen von heute, fragte ich, hätten sie da früher etwas anders gemacht? Walesa betrachtete mich wie ein lästiges Insekt. „Nein, nein“, sagte er, „Ich hätte nichts anders gemacht. Ich hätte alles genauso gemacht, wie ich es getan habe.“

In Polen war in der Zeitschrift Polytica zu lesen, dass Walesa den Film schon gesehen hat. Er sei der Meinung, dass der Schauspieler ihn als viel zu stur dargestellt habe.