Blaue Stunde mit Alberto

Dogenpalast morgens

 

Wenn es nicht so grauenhaft wäre, um fünf Uhr morgens aufzustehen. Sicher, danach ist es wunderbar. Nachtschwarzer Canal Grande und ein Gefühl von Heldenhaftigkeit. Und Alberto, der sagt: Venedig ohne die Lagune, das ist wie eine Frau ohne Unterleib. Denn Alberto liebt Vergleiche mit Frauen. Er sitzt hier am Heck seines Bootes, gewaltig und tätowiert und steuert über den Canal Grande Richtung Lagune. Auf der Brust trägt Alberto eine Rose und auf seinem Puls einen dunklen Tintenfleck.

Lagune fischen2

 

Alberto sagt auch: Das Leben in Venedig ist so, als ob man eine Frau liebte, die in Schwierigkeiten ist. Aber Liebe bedeutet auch, dass man Schwierigkeiten überwindet! Das sagt er an guten Tagen. Und an schlechten Tagen sagt er: Venedig ist eine Nutte. Eine ganz billige Nutte.

An diesem Morgen waren Alberto und ich zusammen mit einem Team des SWR in der Lagune unterwegs – die in Venedig den zweiten Teil von „Traumstädte – Stadtinseln“ drehten, nach Istanbul also Venedig. (Anders als ich war das Fernsehteam bestens für die Kälte in der Lagune ausgerüstet: Skihosen und Thermounterwäsche, Trekkingstiefel, vollversiegelte Goretex-Jacken und darunter auch noch Fleece-Overalls, vermute ich.) Alberto war bereits seit vier Uhr morgens auf den Beinen, als wir mit ihm um sechs in die Lagune fuhren, um die Netze einzuholen, zur Zeit fischt er nach Tintenfischen. Es gibt keine Insel in der Lagune, die Alberto nicht kennt, es sind Hunderte und viele haben gar keinen Namen. Nicht nur der durchschnittliche Venedig-Besucher, nein selbst Venezianer kennen die Lagune nicht, was Alberto schier verzweifeln läßt.

Alberto findet sich selbst auf dem Meer ohne Kompass zurecht, er liest die Richtung aus den Wellen und dem Wind – ob die Wellen kurz und gerollt oder lang und gerade sind, ob er den Wind hinter den Ohren hat oder ob er ihm vor der Stirn steht, Bora aus Nordosten oder Garbin aus Südwesten, der den Nebel bringt.

Am Ende fuhren wir dann noch an der Baustelle für die Hochwasserschleuse Mosè vorbei, jenes gigantischen Bauprojekts, das ungeachtet der Proteste von Umwelt- und Denkmalschützern durchgesetzt wurde. Jahrelang konnte das „Consorzio Venezia Nuova“ mit Hochglanzbroschüren und Hubschrauberflügen für geneigte Journalisten für ihr umstrittenes Projekt werben und es schließlich tatsächlich bauen. Dass sich hinter dem „Consorzio Venezia Nuova“ nichts anderes als ein Zusammenschluss norditalienischer Bauunternehmer verbirgt, man somit den Bock zum Gärtner gemacht hat (unter Ausschluss einer öffentlichen Ausschreibung), wollten manche erst bemerkt haben, als die Rechnung präsentiert wurde: 5,5 Milliarden Euro Baukosten und 30 Millionen jährlich für den Erhalt einer Hochwasserschleuse – die an den Ursachen des Hochwassers nichts ändert, sondern vielmehr Venedigs Lagune in eine Kloake verwandeln wird. Das ist die Kehrseite von Venedig: Tausende Tonnen Beton, in der Lagune versenkt.

Mose

 

Danach waren wir ganz still. Und die Sonne ging auf.

Morgenaufgang Lagune