Un casino, sagt man hier. Gemeint ist das Chaos, in dem sich Italien seit den Wahlen befindet. Inzwischen haben wir einen neuen Papst (bescheiden wie fast alles hier, zur Zeit), aber noch keine neue Regierung. Dafür aber „zehn Weise“, hochgelobt von der Süddeutschen Zeitung, die ihrer Rolle als deutsches diplomatisches Corps wieder alle Ehre macht und schreibt:
- Der weise alte Mann auf dem Quirinalshügel, Präsident Giorgio Napolitano, hat das Klügste getan, was er mit seiner so kurz vor dem eigenen Amtsende begrenzten Macht tun konnte. Erstens: Den Ball flach halten, damit der Rest der Welt nicht zu nervös wird. Noch-Premier Mario Monti kann erst mal weiter das Nötigste regeln. Zweitens: Mit der Berufung von respektablen Vermittlern und Experten will Napolitano Zeit gewinnen, damit vielleicht doch noch nach Ostern die Vernunft der Politiker wiederaufersteht. Sie haben die Verantwortung einfach auf den 87-jährigen Präsidenten abgewälzt.
Expertenkommissionen werden von Deutschen ja immer geschätzt. Auch wenn sich dahinter, so wie hier in Italien, nichts Geringeres als ein stiller Staatsstreich verbirgt. Denn die“Weisen“ sind nichts anderes als das Fundament jener großen Koalition zwischen Berlusconis PDL und der linksdemokratischen PD – darunter ein „Weiser“, der diverse Ad-Personam-Gesetze für B. schaffte, oder der Linksdemokrat Luciano Violante, der dafür sorgte, dass B. das Monopol für seine Fernsehsender behalten konnte (um nur ein Beispiel zu nennen).
Der „weise, alte Mann auf dem Quirinalshügel“ ist kein gütiger Greis, kein Großvater der Nation, der die Streite seine kleinen, zänkischen Enkel schlichtet, sondern nach Andreotti der gewiefteste Strippenzieher Italiens, ein alter Fuchs, der sich in den Niederungen der italienischen Politik mit verbundenen Augen auskennt. Er war derjenige, der B.’s Gesetze stets unterzeichnete. Und als ihn der ehemalige Senator Mancino letztes Jahr anrief und ihn darum bat, die Staatsanwälte von Palermo zurückzupfeifen, weil sie Mancino als Zeugen verhören und von ihm wissen wollten, was er von den Verhandlungen zwischen Vertretern des italienischen Staates und der Mafia zur Zeit der großen Mafiamorde 1992 weiß, (mehr dazu: hier) da ist der „weise alte Mann auf dem Quirinalshügel“, dieser sympathische Großvater nicht etwa empört von seinem Lehnstuhl aufgesprungen, sondern ließ Mancino ausrichten, dass ihm seine Angelegenheit sehr am Herzen liege.
Glücklicherweise läuft die Amtszeit des gütigen Großvaters in diesem Monat ab.
Aber damit sind die Probleme noch nicht gelöst. Eine Regierung konnte noch nicht gebildet werden, obwohl das neue italienische Parlament, wie der Journalist Marco Travaglio anmerkte, etwas jünger, weiblicher und sauberer ist, als das vorangehende. Die neue Bescheidenheit bemerkt man vor allem im Fernsehen: selbst B.’s Girl Mara Garfagna, Abgeordnete und ehemaliges Aktmodell, oder B.’s pasionaria Daniela Santanchè zeigen in Talkshows kein Bein mehr, auch kein Dekolleté, sondern Wollpullover und hamsterbraune Hosenanzüge.
Die PD (stärkste Partei im Parlament, wenngleich auch nur um wenige Stimmen) nimmt neuerdings Worte wie „Gesetz gegen Interessenskonflikt“ in den Mund, schreckt selbst nicht davor zurück, B. als „nicht wählbar“ zu erklären, was bis vor kurzem nicht denkbar war. Die Parlamentspräsidentin und der Senatspräsident halbieren ihre Gehälter.
Aber weil die PD im Senat keine Mehrheit hat, besteht das Patt weiter. Die 5Sterne-Bewegung soll es jetzt richten. Kann aber nicht. Sie will einer Regierung der PD kein Vertrauen aussprechen. Was einleuchtend ist, weil es dem diametral entgegengesetzt wäre, was die 5Sterne während des ganzen Wahlkampfs erklärt haben. Als Napolitano auf die Idee kam, die zehn Weisen zu berufen, schrieb der sizilianische Schriftsteller Roberto Alajmo, dass dies so etwas sei, wie der Skorpion, der zu dem Frosch, der ihn gerettet hat, sagt: „Natürlich habe ich dich gestochen, aber das ist meine Natur“: Natürlich zeigte die politische Kaste mit den zehn Weisen ihr hässlichstes Gesicht, das Gesicht, das von Beppe Grillo stets beschworen wurde. Aber. Das Problem ist, dass unter den Trümmern der italienischen Politik die Italiener begraben sind.
Den Grillini wird seitdem (Nicht nur von der etablierten Presse, sondern auch als friendly fire der Tageszeitung „Il Fatto quotidiano“) vorgeworfen, immer nur „Nein, Nein, Nein“ zu sagen. Allerdings streiten sich auch die 163 Abgeordneten der 5Sterne-Bewegung, die in Orthodoxe und Reformer gespalten sind. Die Orthodoxen sind in der Mehrheit, beharren darauf, das Programm zu respektieren, haben die Gründer Beppe Grillo und Casaleggio auf ihrer Seite, wobei Grillo auf seinem Blog schreibt: „Wenn ihr die PD stützen wollt, dann hättet ihr uns nicht wählen sollen“. Was ja stimmt. Aber niemand konnte den Abgeordneten der 5Sterne-Bewegung verbieten, Namen zu nennen: von respektablen Persönlichkeiten, die nicht zur PD gehören, aber so glaubwürdig sind, dass sie auch das Vertrauen der Wähler der 5Sterne-Bewegung haben könnten. Vielleicht hätte die PD dem nicht zugestimmt. Aber sie hätte dann auch nicht weiter behaupten können, die 5Sterne-Bewegung wolle alles nur blockieren.
Demnächst wird also der neue Staatspräsident gewählt. Die 5Sterne-Bewegung wählt ihren Kandidaten online. Wenn aber ihr Kandidat nicht gewinnt und sich die 5Sterne entschließen, den Kandidaten der Linksdemokraten nicht zu unterstützen, gewinnt automatisch B.’s Kandidat. Keine schöne Aussicht. Nur um, wie es der Journalist Andrea Scanzi schrieb, zu beweisen, dass die Linie der „reinen Lehre“ gewinnt. Scanzi schrieb auch, dass Grillo Recht hat, zu schreien: „Wir wollen nicht das weniger Schlimme“ (also die PD). Sondern einen echten Wandel.
Aber es stimmt auch, wie Scanzi feststellte, dass es nicht das „weniger Schlimme“ ist, wenn Berlusconi endlich in einer echten Minderheit wäre – und Renzi, der neue Hoffnungsträger der Linksdemokraten, auf seine wahre Größe zurechtgestutzt würde. Wenn nicht, wird Italien weiter von Berlusconi und seinem neuen Freund Renzi regiert.
Letzteres wäre im Interesse von einigen. Auch der Mafia. Vor drei Tagen wurde bekannt, dass in Palermo gegen den Staatsanwalt Nino di Matteo und den Zeugen der Anklage, Massimo Ciancimino, anonyme Morddrohungen eingegangen sind. Bis Ende Mai würden beide (die nicht zufällig Schlüsselrollen in dem Prozess um die Trattativa spielen, den Verhandlungen zwischen Staat und Mafia) in die Luft gesprengt.
Diese Drohung wurde sehr ernst genommen. Nicht nur, weil der Brief genaue Details über die Gewohnheiten des Staatsanwalts und des Mafia-Zeugen verriet. Sondern auch, weil es im Moment sehr viele Parallelen gibt, zwischen dem Limbus, in dem sich die italienische Politik heute befindet – und in dem sie sich Anfang der 1990er Jahre befand, nachdem sich die italienischen Parteien infolge des Korruptionsskandals Mani Pulite aufgelöst hatten. Damals war der Mafia ihr politischer Ansprechpartner abhanden gekommen, die Bomben gegen Falcone, Borsellino 1992 und die Bomben 1993 in Mailand, Rom und Florenz wurden gelegt, um, wie es der Boss Totò Riina sagte: „Krieg zu machen, um Frieden zu erreichen“.
Die Mafia hat, was die jetzige Regierungsbildung betrifft, eine ganz klare Vorstellung: „Weder Schwule, noch Komiker in der Regierung“, war in dem anonymen Brief zu lesen. Dazu ist zu bemerken, dass in Sizilien seit einigen Monaten Renato Crocetta als Ministerpräsident regiert, gestützt von der 5Sterne-Bewegung, der seine Homosexualität nie geleugnet hat.
Interessant ist auch, dass weder von dem weisen alten Mann auf dem Quirinalshügel, noch von der (noch amtierenden) Justizministerin – und selbst nicht von dem soeben ernannten Senatspräsidenten Piero Grasso auch nur ein Wort, eine Silbe, eine winzige Geste der Solidarität mit dem bedrohten Staatsanwalt Nino di Matteo zu vernehmen war.
Stattdessen läuft gegen ihn ein Disziplinierungsverfahren, weil er die Existenz des Telefonats zwischen dem alten, weisen, etc. pp, Staatspräsidenten und dem in Bedrängnis geratenen Senator nicht geleugnet hat.
Das ist der Stand hier.
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