Und täglich grüßt das Orgientier. EIN STOSSGEBET VON PETRA RESKI.
Italien kommt nicht aus der Endlosschleife von Korruption und politischem Schmierentheater. Die Rückkehr Berlusconis ist das i-Tüpfelchen.
Berlusconi kandidiert wieder? Aber ist der nicht im Gefängnis?“, fragte mich eine Freundin. Zu ihrer Entschuldigung muss gesagt werden, dass sie in Australien lebt und es relativ still um B. geworden war: Wenn von ihm die Rede war, dann nur als Angeklagter in einem seiner zahlreichen laufenden Prozesse (Sex mit Minderjährigen, illegales Abhören politischer Gegner, Steuerhinterziehung), sodass ein gutgläubiger, fernab lebender Mensch auf die Idee kommen konnte, dass die Gerechtigkeit nun endlich ihren Lauf genommen hätte. Hat sie natürlich nicht. In Italien glaubt man an Wunder, aber nicht an die Gerechtigkeit. Und ein Wunder war es bereits, dass wir ein Jahr lang der Endlosschleife entkommen waren und nichts mehr über seine Orgien, Erpressungen und Sexualpraktiken erfuhren. Kaum hat B. sein Comeback als Spitzenkandidat seiner Partei PdL für die Wahlen im Februar 2013 angekündigt, verheddert er sich innerhalb einer Stunde in fünf sich widersprechenden Versionen („Ich mache einen Schritt vor, zurück, zur Seite“), ist wieder jeder Radiosender mit seinen Schizophrenien verpestet („Ich bin ein Conducator, dem die Italiener vertrauen“), die Leitartikler arbeiten sich an seinen Wahnvorstellungen ab („Die Staatsanwälte sind das Krebsgeschwür der Demokratie“), das Netz ist von ihm verseucht, vom Fernsehen ganz zu schweigen, die Börsenkurse brechen ein, der Spread schnellt hoch wie eine Fieberkurve – und der Einzige, den der erneut steigende Risikoaufschlag auf italienische Staatsanleihen kaltlässt, ist B., der verkündet, dass der Spread nichts anderes sei als ein Betrug mit dem Ziel, die von den Italienern gewählte Regierungsmehrheit zu Fall zu bringen. „Berlusconi will immer die Hauptperson sein“, sagte der italienische Komiker Roberto Benigni, „in der Kirche der Papst, bei der Hochzeit die Braut und auf der Beerdigung der Tote.“ So gesehen läuft es bestens für ihn. Und obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass B. die Wahlen gewinnen könnte, so gering ist wie die Anzahl natürlich gewachsener Haare auf seinem Schädel, garantiere ich für nichts. Berlusconi als Spitzenkandidat der PdL, das sei, wie nachts ohne Scheinwerfer gegen eine Mauer zu rasen, verkündete einer von B.’s einstigen Vertrauten, aber selbst diese Aussicht schreckt B. nicht. Schließlich ist das italienische Parlament bereits voll von Untoten, die ihre Privilegien mit Zähnen und Klauen verteidigen – warum sollte er ausgerechnet jetzt, wo drei seiner Prozesse vor der Urteilsverkündung stehen, auf seine parlamentarische Immunität verzichten? Ein Wunder war es auch, dass ein klinischer Fall wie B., gegen den wegen Steuerbetrugs, Bilanzfälschung, Mitwirkung in einer mafiosen Vereinigung, Richterbestechung und Mittäterschaft bei Anschlägen ermittelt wurde und den nur großzügige Verjährungsfristen und 40 maßgeschneiderte Ad- personam-Gesetze vor der Verurteilung retteten, es überhaupt schaffte, nicht nur einmal, sondern dreimal als Ministerpräsident wiedergewählt zu werden – um den Italienern kostenlose Gebisse, eine Million Arbeitsplätze, die Heilung von Krebs, Steuererleichterungen und eine Brücke nach Sizilien zu versprechen. Im Laufe des gefühlten Berlusconi-Jahrhunderts bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass B. unter Pseudologia phantastica leidet, einem pathologischen Zwang zum Lügen – der sich sogar in seinem Äußeren widerspiegelt. Ich weiß noch, wie unangenehm es mich berührte, als ich ihn auf einer Pressekonferenz zum ersten Mal sah: Kaum größer als ein Schulkind, mit ockerfarbenem Makeup, dunkel nachgezogenen Brauen und aufgemalten Haaren, wurde er von den Leibwächtern wie eine Kommode in den Saal geschoben. Außer Leichen vor der Beerdigung habe ich noch nie einen Menschen gesehen, der so stark geschminkt war wie er. Wäre er Postbote oder Bankangestellter, hätte man einen großen Bogen um ihn gemacht – weil sein Äußeres bereits so befremdet, dass man über das Innere gar nicht mehr nachdenken möchte. Aber er war der italienische Ministerpräsident – über den sich selbst seine Hürchen wenig schmeichelhaft zu äußern pflegten.Sie nannten ihn „das alte Ekel“oder, wenn sie nett sein wollten, „Quelle unseres Reichtums“ und waren entfesselt, als das Gerücht kursierte, dass die Orgien weniger werden könnten. „Ich habe nur noch 1000 Euro, ich muss unbedingt Kasse machen“, sagte die eine, während die andere sinnierte: „Der Alte nervt, bald sitzen wir alle in der Scheiße, jetzt ist die Gelegenheit, ihn umzubringen, ich hau ihm die Statue ins Gesicht.“ (Sinnigerweise handelte es sich um eine Priapus-Statue.)
Dass die Parlamentarier auf dieses Unterhaltungsprogramm ungern verzichten, liegt nahe. Und das gilt nicht nur für B.’s Lakaien, sondern auch für die linksdemokratische PD, die sich 17 Jahre lang bequem mit Blick auf den schwarzen Mann einrichtete und es nicht mal schaffte, als sie an der Macht war, ein Gesetz über den Interessenkonflikt zu initiieren – zwischen dem Ministerpräsidentenamt und dem des größten Medienunternehmers des Landes. Dass Monti seine Reformen nicht weiter verfolgen konnte, erstaunt in Italien niemanden: Warum sollten sich die Parlamentarier den Ast absägen, auf dem sie selber sitzen? Warum für ein Anti-Korruptions- Gesetz stimmen, wenn die Korruption unter B. zum Regierungsinstrument erhoben wurde? Warum eine Reform des Arbeitsmarktes unterstützen, wenn zu befürchten ist, dass die Gewerkschaften, die rückständigsten Europas, ihre Wählerstimmen entziehen könnten? Warum ein neues Wahlgesetz durchsetzen, wenn das alte Wahlrecht, auch Porcellum, Schweinerei, genannt, es einer Partei, die nur auf 30 Prozent der Stimmen kommt, ermöglicht, 55 Prozent der Sitze zu erhalten? Ein Wahlrecht, bei dem keine Kandidaten zur Wahl stehen, sondern nur Parteien oder Parteibündnisse, weshalb der Wähler die Katze im Sack kaufen muss. Gespart wurde unter Monti nicht an den Diäten der Abgeordneten oder an den Ausgaben für das Militär, sondern an Universitäten, Krankenhäusern und Schulen. Da fiel es B. leicht, etwas vom Opfer zu faseln, das er erbringen würde, um Italien vor Montis „rezessiver Politik“ und einem „germanozentrischen Europa“ zu retten. Egal, ob die PD die meisten Stimmen erhält, die Bürgerbewegung des Beppe Grillo „5Stelle“ tatsächlich 20 Prozent schafft oder Monti ein bürgerliches Parteienbündnis anführen wird: Solange B. noch zappelt, kann nur ein Wunder helfen.
PETRA RESKI DEUTSCHE WAHL- VENEZIANERIN
(Originalartikel in: Focus 51/2012 vom 17. Dez. 2012)