Ja, so sieht es hier manchmal aus, ganz früh am Morgen, wenn der Canal Grande noch nicht von Wassertaxis und Lastkähnen durchflügt wird. Und die täglich zu erwartenden 83 000 Besucher noch auf dem Weg sind. Auf die verbleibenden (großzügig geschätzten) 58 000 Venezianer kommen 83 000 Touristen täglich. Praktisch sitzen also fast anderthalb Touristen auf einem Venezianer. Und wir reden hier vom Durchschnitt. Nicht von Monaten wie Mai, Juni, Juli, August. Macht im Jahr nicht die stets beschworenen (und schon erschreckenden) 22 Millionen Touristen, sondern 30,38 Millionen. Eine Zahl, die von der venezianischen Stadtverwaltung wie ein Staatsgeheimnis gehütet wird. Wäre ja kontraproduktiv.
Desinformationskampagnen haben in Venedig eine lange Tradition. Im „Tod in Venedig“ beschreibt Thomas Mann, wie man versuchte, der Ausbruch der Cholera zu verschweigen. Und tatsächlich: Die venezianischen Hoteliers bezahlten die Desinformationskampagne mit 100 000 Lire aus einem Spezialfonds der zu diesem Zweck gegründeten Vereinigung „La Pro Venezia“, an der die Aktiengesellschaft, die Eigentümerin aller großen Hotels auf dem Lido war, und die Stadt Venedig beteiligt waren.
Heute gibt es die Desinformationskampagnen umsonst.
Und noch ein Nachtrag: Die Zahl der 30,83 Millionen stammt nicht von mir, sondern von Italia Nostra, dem italienischen Natur- und Denkmalschutzverein.