Es sieht hier so aus, als stünde Italien im Endspiel der WM. Vom Rathaus bis zur Eisdiele ist alles beflaggt, was nicht entkommen kann, auf dem Markusplatz sah ich ein kleines Mädchen, das aus dem Kinderwagen mit einer Nationalfahne winkte, und das Radio spielt Lieder, mit denen die italianità beschworen wird – eine Identität, die irgendwo zwischen volare, Va pensiero, Malafemmina und Tu vuò fa l‘ americano!, mmericano! mmericano! schwebt. Und die Italiener streiten sich, und das schon seit Monaten. Die einen sind für die Einheit, die anderen dagegen. Genausogut könnte man über das Wetter abstimmen. Und zwischendurch werden italienische Politiker interviewt, die erschreckende Wissenslücken offenbaren, was die italienische Einheit betrifft, sie wissen nicht, dass Turin die erste Hauptstadt Italiens war, halten Garibaldi für einen mexikanischen Freiheitshelden und Cavour für einen französischen Staatspräsidenten – und das, obwohl in diesen Wochen jeder Provinzzeitung Tonnen von Geschichtsspecials beigelegt werden Risorgimento heute oder der Zug der Tausend, mit Hoteltipps für Reisen auf den Spuren der italienischen Einheit und Rezepten für Gerichte in den Nationalfarben. Gestern Abend gab es für die Würdenträger Venedigs ein Gala-Konzert in der Fenice, am Ausgang salutierten zwei Carabinieri in Gala-Uniform, mit blutrotem Federbusch, napoleonischem Zweispitz, bodenlangem Umhang und Säbel. Allein für diese Uniformen hat sich die italienische Einheit gelohnt. Ich jedenfalls danke dem lieben Gott dafür, die Italiener erfunden zu haben.