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Gestern Abend habe ich mich beim Herumzappen in das Finale des Festivals von San Remo verirrt. Für mich ist der seit Jahrzehnten ungebrochene Erfolg dieses Schlagerfestivals (jeden Abend 13 Millionen Zuschauer!) so rätselhaft wie die Begeisterung für japanisches Schreitheater, aber man muss ja nicht alles verstehen. Auf jeden Fall glaubte ich meinen Ohren nicht. Denn da sang ein Typ ein Lied, das den Titel „Luca era gay“ trug, also Luca war schwul, und wer jetzt glaubt, dass es sich hier um progressives Liedgut handele, also um eine traurige Outingballade oder um die Schilderung des tragischen Unfalltodes eines Homosexuellen, geschildert aus der Sicht seines Lebenspartners, der sah, wie Luca beim Bungeejumping abstürzte, oder vielleicht um die Schicksalsgeschichte des schwulen Luca, der eines Morgens beim Aufstehen entdeckt, dass er lieber Röcke tragen möchte, vulgo transsexuell zu sein, der irrt sich. Denn wir leben hier nicht im 21. Jahrhundert, sondern im Obskurantismus, dem Zeitalter der geistigen Dämmerung, indem es dem Vatikan sogar gelingt, Schlagertexte zu diktieren: Der Refrain von „Luca war schwul“ geht weiter mit: „und heute ist er mit ihr zusammen“, was sich im Deutschen anders als im Italienischen („Luca era gay, adesso sta con lei“) leider nicht reimt. Zwischen den beiden Refrains zieht sich noch eine schwere Kindheit hin – Vater trinkt, Mutter ist depressiv – aber, Gott sei Dank: Schwulsein ist heilbar. Jedenfalls in San Remo. Das Lied gewann den zweiten Platz.