Ich hatte mir fest vorgenommen, mich zu den Frauengeschichten des Psychozwergs nicht zu äußern. Ich hatte mir ebenfalls vorgenommen, die Ernennung des Nacktmodells Mara Carafagna zur Ministerin für Gleichstellung zu verschweigen – schon aus dem Grunde, weil es sich bei Supersilvios Frauengeschichten um keine Frauengeschichten handelt, sondern um Geschichten eines Lüstlings im seidenen Morgenmantel, mit Brillantine in den Haaren, Geschichten eines Vorstadtgockels, der schon beim Anblick eines weiblichen Fußknöchels einen Kontrollverlust erleidet, und der bei Forza-Italia-Kundgebungen auf alles seine Komplimente herabregnen lässt, was ihm nicht entkommen kann: „In der ersten Reihe sehe ich nur schöne Beine!“ (Bologna 5. April 2002), „Ich musste mir den Lippenstift vom Gesicht entfernen. Es waren die Küsse der Damen von vorhin, gut, dass Veronica nicht da war, sonst hätte ich etwas erleben können!“ (Catania 5. Mai 2005), „Ich sage es hiermit ganz deutlich: Ich bin bereit, Telefonnummern aufzunehmen und mich zu verlieben.“ (Genua 20. Januar 2007) Weder Journalistinnen („Ich finde Sie besonders schön, meine Damen Journalistinnen, prachtvoll in den Farben des Sommers, ich weiß, was ich täte, wenn ich nicht Premierminister wäre“), noch Hostessen („Bitte geben Sie mir Ihre Telefonnummer, Signorina, wissen Sie, später habe ich etwas freie Zeit“) bleiben von ihm verschont, selbst vor amerikanischen Investoren schreckt er nicht zurück: „Wir haben hier nicht nur ständig schönes Wetter und eine wunderbare Landschaft, sondern auch wunderschöne Sekretärinnen!“. Fährt er nach Paris, verlautet er: „Ich hatte in Paris eine Freundin.“ Fährt er nach Berlin, gibt er kund: „Ich hatte in Berlin eine Freundin.“ Trifft er türkische Unternehmer, heißt es: „Ich hatte eine wunderbare türkische Freundin“. Besucht er Russland, droht er an: „Ich will die schönste und beste Arbeiterin küssen!“ und führt dies, zur Bestürzung der russischen Tageszeitung Kommersant, auch umgehend aus: Dem klein gewachsenen Silvio Berlusconi (1,58 Meter) gelingt es jedoch erst nach zwei Sprüngen, einer hoch gewachsenen Russin den Mund zu küssen.
Nachdem Supersilvio also Nacktmodells und andere Spitzen der Gesellschaft zu Ministerinnen ernannt hat, tauchten in dem von Berlusconi heldenhaft geführten Kampf um die Abhörpraxis jetzt wieder mal Telefonate des Premierministers auf, in denen er eine Charge der RAI auffordert, mehrere Ex-Gespielinnen mit Fernsehengagements zu versorgen, um die Damen so ruhig zu stellen. Auch das wollte ich verschweigen, es war mir zu bildzeitungshaft, außerdem ist die RAI immer schon ein Versorgungswerk für abgelegte Politikergeliebte gewesen: Selbst hässlichste Kröten wie Bettino Craxi wurden dank der Verfügungsgewalt über die RAI so attraktiv, dass sich Schauspielerinnen wie Sandra Milo von ihnen angezogen fühlten.
Das einzig interessante an Silvios Erotomanie ist das Schweigen seiner Frau Veronica. Schon lange lebt sie von ihm getrennt mit ihren drei Kindern in der Villa Belvedere in Macherio bei Mailand, kurz „Villa Macherio“ genannt. Während der Psychozwerg seine Wochenenden und den Sommer in der Villa Certosa auf Sardinien zu verbringen pflegt – das Grundstück ist mit 120 Hektar doppelt so groß wie der Vatikanstaat und umfasst unter anderem einen künstlichen See, eine legendäre Kakteensammlung und einen vollautomatischen Vulkan, per Fernbedienung zu betätigen – bewohnt Veronica seit der Eheschließung 1990 ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Anwesen, samt eines biodynamischen Gemüsegartens. Es ist der ehemalige Stammsitz des Geschlechts der Viscontis, für den ihr Mann Silvio umgerechnet 2,2 Millionen Euro schwarz bezahlte und dafür wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Das nur nebenbei.
Veronicas Schweigen ist um so beredeter, als sie sonst keineswegs schweigt. Denn als die Zeitung „Oggi“ den Psychozwerg letztes Jahr im Jogginganzug und in Gesellschaft von fünf Damen zwischen den Rabatten seiner sardischen Villa überraschte, hielt sich Veronica keineswegs zurück.
Sie schrieb ihm einen Brief. Darin forderte Veronica Supersilvio ultimativ in aller Öffentlichkeit auf, sich bei ihr schriftlich zu entschuldigen. Sie ließ diese Aufforderung auf der ersten Seite der Repubblica drucken, also jener Tageszeitung, die Silvio Berlusconi für eine Ausgeburt des kommunistischen Italiens hält: was für Berlusconi, der unter Wahnvorstellung leidet, von Kommunisten verfolgt zu werden, ein Affront ohnegleichen war.
Einen derart intimen Einblick in die Berlusconische Ehe hätten selbst die schaulustigsten Italiener nicht erwartet – zuvor hatte Berlusconi mehrere Bitternisse hinnehmen müssen. Er war nicht nur als Premierminister abgewählt worden, sondern auch auf dem Podium einer Forza-Italia-Kundgebung vor laufenden Kameras in Ohnmacht gefallen und hatte sich in Cleveland einen Herzschrittmacher einsetzen lassen müssen. Offenbar hatte ihm das Gesellschaftsleben, an dem er seit seiner Abwahl obsessiv teilnahm, schwer zugesetzt. Nach seiner Operation verkündete er jedoch sofort: „Ich fühle mich stark, jung und stattlich und bin bereit, mich zu verlieben.“ Diese Drohung machte er bei der Verleihung des Fernsehpreises telegatti umgehend wahr: Als eine Protagonistin des Big-Brother-Formats „Die Insel der Berühmten“ dem zum „Silvio Nazionale“ verklärten Helden erklärte: „Mit Ihnen würde ich auf eine einsame Insel gehen“, konterte Silvio B. mit der Bemerkung: „Mit dir ginge ich überall hin.“ Der Forza-Italia-Abgeordneten, ehemaligen Nacktmodell und jetzigen Gleichstellungsminiserin Mara Carfagnana sagte er: „Wenn ich nicht verheiratet wäre, würde ich Sie sofort heiraten.“ Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Was dann folgte, klingt wie ein Dialog zwischen Paolo und Beatrice in Dantes Göttlicher Komödie:
So schrieb Veronica Berlusconi: „Unter größten Schwierigkeiten überwinde ich die Zurückhaltung, die mein Leben in den letzten 27 Jahren ausgezeichnet hat, an der Seite eines Mannes der Öffentlichkeit, der Unternehmer, berühmter Politiker – und mein Mann ist … Ich schreibe, um meiner Reaktion auf jene Äußerungen Ausdruck zu geben, zu denen mein Mann sich im Laufe des Galadinners am Ende der Verleihung der telegatti hinreissen ließ …. Es sind Bemerkungen, die ich als würdelos betrachte, Bemerkungen, die man angesichts des Alters, der politischen und sozialen Rolle und des familiären Zusammenhangs (zwei Kinder aus einer ersten Ehe, drei aus der zweiten Ehe) der Person, die diese Äußerungen machte, keineswegs als leichtfertige Scherze rechtfertigen kann. Da ich privat keine Entschuldigung bekommen habe, verlange ich eine öffentliche Entschuldigung … Das Vorbild einer Frau, die im Umgang mit Männern ihre Würde zu wahren weiß, ist im Hinblick auf meine erwachsenen Töchter heute von größter Bedeutung, … wie die Verteidigung meiner weiblichen Würde auch meinem Sohn dabei helfen kann, nie zu vergessen, dass der Respekt für Frauen ein fundamentaler Wert ist.“
Darauf gestand der Komiker Roberto Benigni bei einem Auftritt in Mailand der im Publikum sitzenden Heldin Veronica Berlusconi seine Liebe: „Wenn ich nicht verheiratet wäre, würde ich dich sofort heiraten“, und die „Via Dogana“, die historische Kultzeitschrift der italienischen Feministinnen, lobpreiste Veronica für ihren Mut „von sich selbst in der ersten Person gesprochen zu haben – ohne Rücksicht darauf, das Private vom Öffentlichen zu trennen“.
Offiziell wusste ihr Mann nichts von dem Brief, wohl informierte Kreise jedoch verlauteten, dass Silvio Nazionale über seine beiden Vertrauten, die Anwälte und Forza-Italia-Senatoren Nicolo Ghedini und Gianni Letta, noch bis zur letzten Minute vergeblich versucht habe, die störrische Veronica von ihrem Vorhaben abzubringen. Aber nicht mal das Gefälligkeits-Interview („Ich verspüre eine totale Leidenschaft für meine Frau“), das Silvio Berlusconi der Wochenzeitung „A“ gab, schaffte es, seine Frau ihm wieder gewogen zu machen. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als die Kröte via Nachrichtenagentur zu schlucken: „Meine Tage sind verrückt, du weißt es … Dabei unterlaufen auch einem spielerischen und selbstironischen Charakter kleine Unregelmäßigkeiten … Entschuldige bitte und betrachte dieses öffentliche Zeugnis eines privaten Stolzes, der sich deinem Zorn beugt, als einen Akt der Liebe.“ Danach fuhr Berlusconi zum Abendessen in die Villa Macherio. Und ließ sich ansonsten wieder mal als Mann feiern, der sich eine Frau mit Charakterstärke leisten kann.
Und jetzt? Veronica schweigt. Noch.
Klasse, Petra!
Dass Du dazu noch bei allen Hoch-Zeits-Vorbereitungen kommst!
So ein Vergnügen vor dem Zubettgehen diese amüsanten und so trefflich formulierten zeilen zu lesen. Ich bin entzückt und mal wieder wohl informiert über Italiens hohe Politik.
Gute Nacht wünscht Ruth