Die elf Millionen Olivenbäume des Salento sind ein Kulturgut. Sie sind oft Jahrtausende alt und haben Kriege und Feuersbrünste überlebt. Sie unterstehen nicht nur dem Forstschutzamt sondern stehen auch unter Denkmalschutz, gemäß Artikel 9 der italienischen Verfassung: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates.“
Stirbt ein Olivenbaum, muss an seiner Stelle ein neuer gepflanzt werden. Außer wenn …
plötzlich eine geheimnisvolle Krankheit die jahrhundertealten Olivenbäume befällt.
Und die Europäische Gemeinschaft das Fällen der Olivenbäume befiehlt.
Wie es dazu kommen konnte? In diesem Blog habe ich bereits verschiedene Male über den Krieg gegen die Olivenbäume geschrieben, zuletzt hier.
Zur Erinnerung noch mal eine Zusammenfassung der Fakten: Scheinbar über Nacht, im Herbst 2013, sah es an manchen Olivenhainen im Salento aus, als sei das Entlaubungsmittel Agent Orange eingesetzt worden: Äste waren verdorrt, Laubkronen wurden geköpft, und an einigen Orten sah es aus, als sei eine Feuerwalze über den Olivenhainen niedergegangen. Journalisten aus der ganzen Welt pilgerten in den Salento: von „Kahlschlag im Paradies“ war die Rede, vom „Sterben der Olivenhaine“ infolge einer rätselhaften Seuche: „Xylella, die Schreckliche“,Xylella fastidiosa, die gefährliche Feuerbakterie sei in der Gegend um Gallipoli entdeckt worden, so verkündete es die Universität Bari im Oktober 2013: Seitdem ist der Salento ein Notstandsgebiet.
Von der NZZ über den Guardian bis zur New York Times folgten die Journalisten der von den Wissenschaftlern ausgegebenen Losung, dass allein die Killerbakterie verantwortlich sei für das Vertrocknen der Olivenbäume, das bürokratisch-komplex „CODIRO-Syndrom“ genannt wird: complesso del disseccamento rapido dell’olivo, was man mit „Olivenbaum-Schnell-Vertrocknungskomplex“ übersetzen könnte. So hat es der CNR Bari verkündet, eine Zweigstelle des hochgeachteten Nationalen Wissenschaftsrat Italiens. Der Leiter der Zweigstelle Bari des italienischen Institutes für nachhaltigen Pflanzenschutz prophezeite, dass keine Rettung in Sicht sei, allenfalls könne man noch ein paar Exemplare der jahrhundertealten Olivenbäume als Museumsstücke erhalten.
Angeblich sollte die so zerstörerische Bakterie mit infiziertem Oleander aus Costa Rica eingeschleppt worden sein, der über Rotterdam nach ganz Europa importiert wurde – aber komischerweise nur im Salento zuschlug. Eilig wurden Krisenstäbe gebildet, Interventionspläne entworfen, EU-Notfallfonds zur Verfügung gestellt und Olivenbäume gefällt: Schließlich handele es sich hier um einen für die Landwirtschaft hochgefährlichen Erreger, der gemäß der europäischen Pflanzenschutzorganisation Quarantänebestimmungen unterliegt.
Das Gebiet südlich von Lecce wurde zur Brutstätte des Erregers deklariert, die Wiesenschaumzikade zum Hauptüberträger, ein General der staatlichen Forstwache zum „Außerordentlichen Kommissar“ ernannt: Er wacht darüber, dass die „infizierten“ Olivenbäume entwurzelt und in einem Umkreis von hundert Metern auch alle gesunden Bäume gefällt werden. Er verordnet den Einsatz von sieben Pflanzenschutzmitteln – von denen einige bereits als hochgiftig vom Markt genommen worden waren. Bauern, die sich weigern, ihre Olivenbäume zu fällen, müssen bis zu 3000 Euro Strafe zahlen. Der Verlust wird mit 261 Euro pro Baum versüßt. An der Stelle des gefällten Baums darf kein neuer gepflanzt werden. Was infiziert ist, bestimmt das Forstschutzamt – und ein einziges Labor. Gegenproben sind verboten: Der Transport von „infiziertem Material“ ist ein Strafdelikt.
Unweit von Brindisi werden 925 Olivenbäume innerhalb nur von zwei Tagen gefällt. Selbst Naturdenkmäler werden nicht verschont, darunter ein 2000 Jahre alter Olivenbaum in Oria. Nino Baldari, ein achtzigjähriger Olivenbauer aus Oria, wo im vergangenen Frühjahr 300 tausendjährige Olivenbäume gefällt wurden und weitere 500 auf der Liste stehen, wurde festgenommen, weil er sich dem Fällen widersetzte und die Carabinieri ihn als „bewaffnet“ bezeichneten, weil er seine Werkzeuge bei sich hatte: Sichel, Säge und Hacke.
Es sind immer dieselben Wissenschaftler, die die Gutachten erstellen und die Notstandspläne entwerfen: Die Universität Bari, der CNR Bari , die Abteilung für nachhaltigen Pflanzenschutz Bari (IAMB).
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Als die vermeintliche Feuerbakterien-Epidemie ausbrach, erinnerten sich einige Olivenbauern daran, dass im Herbst 2010 an der Universität Bari ein Workshop stattfand, der sich der Feuerbakterie und den mit ihr verbundenen Quarantänemaßnahmen gewidmet hat. Damals wunderte man sich: Bis dahin war die Feuerbakterie nie in Europa aufgetreten. In Kalifornien, Costa Rica und in Brasilien hat sie Weinstöcke und Zitrusfrüchte in befallen, nie aber Olivenbäume. In Apulien sind die Olivenbäume sogar dafür bekannt, Feuersbrünste zu überstehen, und jetzt sollte eine Bakterie geschafft haben, was Dürreperioden und Naturkatastrophen nicht gelang?
Unter den Referenten des Workshops befanden sich unter anderem amerikanische Forscher der Universität Berkeley – bekannt als größte Experten der „Xylella fastidiosa“ – und Betreiber des Xylella-Forschungslaboratoriums Almeida. Staatsanwälte begannen zu ermitteln und stellten einige Eigentümlichkeiten fest: So gibt es kein Protokoll über die Vernichtung des Feuerbakteriums, das 2010 zum Teil im Handgepäck der Wissenschaftler zu Forschungszwecken nach Italien gebracht wurde. Augenzeugen berichten, „Personen in weißen Schutzanzügen“ in später vertrockneten Olivenhainen gesehen zu haben, die Staatsanwälte fanden heraus, dass im Salento seit 2010 nicht genehmigte Pflanzenschutzgifte „getestet“ wurden, ab 2013 sogar ganz offiziell mit dem Verkaufsschlager des Agrarmultis Monsanto: „Roundup“, dem Pestizid Glyphosat, das erst vergangenes Jahr von der WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft wurde, und jetzt dank des Einsatzes des deutschen Ministers noch weitere fünf Jahre in der EU eingesetzt werden kann. Nach dem massiven Einsatz von Glyphosat ist eine Pflanze innerhalb von zehn Tagen tot. Wo die „Experimentierfelder“ waren, darüber schweigen die Verantwortlichen.
Ein Ergebnis der Ermittlungen ist, dass die Feuerbakterie vermutlich schon seit Jahrzehnten in Apulien heimisch ist: So lange jedenfalls, dass sie bereits genetisch mutiert ist. Das ergaben wissenschaftliche Untersuchungen. Aber ob sie für das Vertrocknen der Olivenbäume verantwortlich ist, dafür gibt es bis heute keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis. Der leitende Oberstaatsanwalt von Lecce sagte: „Wissen Sie, wenn hier ein Olivenbaum steht, der zwar vertrocknet, aber nicht von der Xylella nicht befallen ist, und zwei Meter weiter steht ein Olivenbaum, der völlig gesund ist, obwohl die Xylella bei ihm nachgewiesen werden kann, dann muss man kein Biologe sein, um zu verstehen, dass da etwas nicht stimmt.“
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Ökobauern wie Ivano Giuffreda von den spazi popolari sehen die Ursachen für das Vertrocknen vor allem im verschwenderischen Verbrauch von verbotenen Pestiziden und Fungiziden, überflüssigem Pflügen und dem abnormen Beschneiden der Olivenbäume im Hochsommer. Der massive Einsatz von Pestiziden ist in Apulien üblich: Viele Olivenbauern vernichten das „Unkraut“ unter den Olivenbäumen, weil sie die Oliven nicht mühsam vom Baum pflücken wollen, sondern erst, wenn sie zu Boden gefallen sind – der an vielen Stellen steinhart wie ein Tennisplatz ist, damit die Olivenhaine zur Ernte ausgekehrt werden können wie ein schmutziger Hof.
Erfahrene Olivenbauern sagen einfach nur: „Bäume soll man wie Lebewesen behandeln“ – was bedeutet, dass man ihre Abwehrkräfte nicht mit Pestiziden zerstören, sondern sie stärken soll: Ivano Gioffreda ist gelungen, vertrocknete OIivenbäume mit altbewährten Mitteln wiederzubeleben: mit Kupfer, gemahlenem Kalkstein und Humus mit Regenwürmern. Und wurde dafür von allen großen Interessengruppen (Landwirtschaftsverband, Landwirtschaftsministerium, Universität Bari) als „Guru“, „Sektenführer“ und Wunderheiler geschmäht. Hier ein Video über einen Olivenhain, den er mit biologischen Mitteln behandelt und gerettet hat:
Die Vereinigung Spazi Popolari von Sannicola ist mehr ist als eine Kooperative für organisch-biologischen Anbau: Es ist eine Initiative zur Verteidigung des Salento. Zu den „Spazi Popolari“ gehören Öko-Landwirte, Umweltschützer und Antimafia-Aktivisten, Studenten und Sekretärinnen – die alle fassungslos sind, als immer mehr Notstandsgebiete eingerichtet werden, in denen innerhalb kurzer Zeit 600 000 Olivenbäume beseitigt werden sollen – und das, obwohl bis heute noch kein einziger wissenschaftlicher Beweis dafür erbracht wurde, dass es die „Killerbakterie“ ist, die die Olivenbäume vertrocknen lässt. Was sogar die eigens angereiste parlamentarische Kommission verkündet hat. Was aber auch nichts ändert.
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Die einzige Gewissheit bis heute ist, dass die Feuerbakterie vielen wie gerufen kam. Das Notstandsgebiet ist deckungsgleich mit jenem Gebiet des Salento, das seit einigen Jahren von einem Tourismusboom ohnegleichen überrollt wurde. Bauspekulanten sind in eine Landschaft eingedrungen, deren Gesicht seit Jahrtausenden von Olivenhainen geprägt ist – und nicht von Hotelanlagen, Golfplätzen, Feriendörfern, die erst gebaut werden können, wenn die unter Naturschutz stehenden Olivenbäume beseitigt sind. Einige Grundstücke wurden bereits an große Gesellschaften verkauft, der 20 Hektar große Olivenhain von Sarparea an der Bucht von Sant’Isidoro gehört nun englischen Investoren, die hier ein Luxusresort bauen wollen: die „Oase Sarparea“.
Hinzu kommt, dass die Bauindustrie in Italien ein klassisches Standbein der Mafia ist. Nicht nur der Camorra und ‘Ndrangheta, die Apulien kolonisiert haben, sondern auch der apulischen Sacra Corona Unita, der jüngsten, sich im Aufwind befindlichen Mafiaorganisation Italiens.
Mit der Feuerbakterie kam das Geld. Seitdem die Feuerbakterie „entdeckt“ wurde, ging ein warmer Regen aus Fördergeldern nieder. Millionen hier, Millionen da. Wissenschaftler erhalten noch mehr europäische Gelder für ihre Bekämpfungspläne der Feuerbakterie – und für ihre Forschungen. Staatsanwälte zeigten auf, dass einige Protagonisten der Xylella-Bekämpfung ein gemeinsames Interesse an dem Erhalt der Feuerbakterie haben: Die Uni Bari, die Abteilung für nachhaltigen Pflanzenschutz Bari (IAMB) und das Agrarforschungsinstitut haben mit dem Forschungsinstitut des Agrarmultis Agromillora ein Abkommen über Entwicklung einer neuen, industriell anbaufähigen Olivensorte geschlossen, die ihnen der ihnen 70 Prozent der Lizenzgebühren garantiert. Und die sei resistent gegenüber Feuerbakterien. Kurioserweise.
Und es ist eine weitere Kuriosität, dass seit kurzem wieder Olivenbäume im Salento angepflanzt werden können. Zufällig genau diese beiden biopatentierten Olivenbaumarten. Patentiert von der Universität Bari und von Agromillora. Und noch kurioser ist, dass ein weiterer warmer Regen nun auch über den Bauernverband niedergeht, der Bauern zur Verfügung gestellt wird, die sich dem Anbau dieser biopatentierten Olivenbaumarten verpflichten.
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Es waren Öko-Aktivisten des Salento, die darauf hingewiesen haben, dass die biopatentierten Olivenbaumarten, die jetzt angebaut werden dürfen, keineswegs resistent gegen die Feuerbakterie sind. Wodurch deutlich wird, dass die Entdeckung der Feuerbakterie lediglich Mittel zum Zweck war: Den Agrarmultis und den ihnen verbundenen Lobbyisten und Politikern waren die jahrtausendealten Olivenbäume des Salento schon seit Jahrzehnten im Weg.
Bereits im Jahr 1995 trafen sich Vertreter der Europäischen Union zusammen mit Vertretern afrikanischer Staaten und des Mittleren Ostens – um das vorzubereiten, was 2010 in Kraft trat: Die Schaffung einer Freihandelszone zwischen der EU und zehn afrikanischen Staaten: EMFTA, der European Union-Mediterreanan-Free-Trade-Area. Sie sah unter anderem den allmählichen Import billigen Olivenöls aus den afrikanischen Anrainerstaaten des Mittelmeers vor. Das sei notwendig geworden, weil das italienische Olivenöl wegen des hohen Arbeitsaufwands und den daraus folgenden Kosten zu teuer sei.
Italienische Professoren und Wissenschaftler machten klar, dass 85 Prozent des italienischen Olivenanbaus überflüssig und verlustbringend sei – bis auf ein paar Olivenhaine des Olivenöls extravergine und ein paar Naturdenkmäler, die man auf Kosten von Touristik- oder Hotelunternehmen behalten könne.
Alternativ sollten superintensive, industriell zu bewirtschaftende Olivenhecken angebaut werden. Patentierte Pflanzen. Olivenbäumchen mit Biopatent – für die zahlreiche Akademiker und Wissenschaftler warben, darunter auch der Direktor des Wissenschaftsrates der Universität Bari.
In Nordafrika ist die Agromillora, der einst spanische Agrarmulti, seit langem aktiv. Sie betreibt den superintensiven Anbau von Olivenbäumen bereits in Marokko, Tunesien und in der Türkei, sogar auch in Jordanien, wo sie überall auch Versuchslaboratorien unterhält.
Nicht arme maghrebinische, türkische oder jordanische Bauern verdienen Geld mit diesen Olivenbäumen, sondern Investmentfonds: Die Agromillora ist heute nicht mehr spanisch, sondern gehört mehrheitlich einem Investmentfond aus dem Bahrein. Spanien verdient aber noch an den Lizenzgebühren für die von ihnen entwickelten Biopatente von superintensiven Olivenbäumen.
In Italien hatte dieser superintensive Anbau von Olivenbäumen bis heute keinen großen Erfolg. Nur 1 200 Hektar von 1 185 000 Hektar werden intensiv genutzt. Im Salento fehlt nicht nur das Geld, sondern auch das nötige Wasser für den superintensiven Anbau.
Außerdem haben sich die Olivenbauern des Salento stets gefragt: Warum soll ich Olivenhecken anpflanzen, bei denen ich drei Jahre warten muss, bis sie etwas abwerfen, und die ich nach 15 Jahren wieder neu pflanzen muss – warum soll ich Lizenzgebühren und Baumschulen bezahlen, um Pflanzen zu kaufen, die viel Wasser brauchen, wenn ich über jahrhundertealte Olivenbäume verfüge, die praktisch ohne Wasser auskommen? Der ganze Aufwand für ein Olivenöl schlechterer Qualität? Das Olivenöl aus superintensivem Anbau enthält weniger Polyphenol – die wie Antioxdantien wirken: das traditionelle Olivenöl des Salento enthält 350 Milligramm pro Kilo, das superintensiv angebaute nur die Hälfte.
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Wenn nicht … eben diese kuriose Krankheit ausgebrochen wäre. Und wenn nicht … da, wo infizierte Bäume standen und gefällt wurden, seit kurzem nur die biopatentierten Olivenbäume angepflanzt werden dürfen.
Aber all das würde natürlich nur in einem Krimi passieren. Nicht in der Wirklichkeit.
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P.S.: In dem Foto oben stehe ich im März 2016 vor einem 1500 Jahre alten Olivenbaum, dem sogenannten „Riesen von Felline“, auch genannt „gigante di Alliste“. Auf dem Foto unten sieht man den Baum, wie er heute aussieht.
Im Frühjahr 2016 wies er zwar an einigen Stellen vertrocknete Äste auf – lebte aber noch und wäre vermutlich auch zu retten gewesen, wenn er nicht in die Hände des eigens angereisten französischer „Spezialisten“ gefallen wäre: keinem Geringeren als dem französischen Umweltschützer und Europaparlamentarier José Bové. Der den „Riesen von Felline“ mit den Knospen der superintensiv anzubauenden Olivenart veredelte. Woraufhin der „Riese von Felline“ starb.
Was den Bauernführer Bové, der dafür bekannt war, Genmais-Plantagen zu verwüsten, dazu getrieben haben mag, sich zum Fürsprecher für industriell anzubauende, superintensive genetisch veränderte Olivenbaumarten machen? Vielleicht verhält es sich mit Bauernführern ähnlich wie mit Gewerkschaftsführern: Am Ende vertreten sie die Interessen des Kapitals.
In Italien sagt man: Nimm das Schlechteste an, und du liegst richtig.