#BeiallerLiebe (das harte Brot der Schriftstellerei)

 

Die Leute, mit denen ich die meiste Zeit verbringe, sind auf ihre Art alle etwas anstrengend. Wolfgang W. Wieneke ist ein Investigativreporter im kritischen Alter, der unter der Medienkrise und der unerwiderten Liebe zu einer italienischen Übersetzerin namens Francesca leidet.

Serena Vitale ist Staatsanwältin in Palermo und heißt eigentlich Santa Crocifissa Vitale: kein Name, sondern eine Heimsuchung. Ihre Mutter hatte auf der Heiligen Kruzifixin bestanden, zu Ehren der im Kindbett verstorbenen Großmutter. Serena Vitale ermittelt gegen die Mafia, was ihre Mutter für eine schwachsinnige Idee hält: Hättest du als Notarin nicht ein schöneres Leben gehabt? Hat dir etwa der Arzt verschrieben, die Mafia zu bekämpfen?

Alle drei (die Mutter auch) existieren nur in meiner Fantasie. Was die Sache nicht besser macht. Denn alle drei versuchen ständig, ihre Macken an mir auszulassen.

Jetzt wollen Sie natürlich wissen, wie es dazu kam: Lehrstühle blieben unbesetzt, Schreibschulen leer, Doktoranden ohne Doktortitel, Feuilletonseiten müssten mit Kreuzworträtseln gefüllt werden, wollte der Mensch nicht wissen, wie ein Schriftsteller zu den Figuren kommt, die seine Romane bevölkern.

Im Wesentlichen gibt es dabei zwei Denkschulen: Die einen glauben, dass Romanfiguren kein bisschen ausgedacht sind, sondern eins zu eins aus der Wirklichkeit kopiert wurden. Das andere Lager, meist aus Schriftstellern bestehend, verkündet genau das Gegenteil, nämlich, dass die Romanfiguren nur in der Fantasie des Schriftstellers existieren – weil es für einen Schriftsteller etwas beleidigend ist, wenn der Gipfel der Schaffenskraft darin bestünde, sich am verhassten Exfreund im Wollflusenpullover abzuarbeiten, der im wahren Leben braune Augen hat, im Roman jedoch blaue.

Schlimmer für Schriftsteller ist nur noch, wenn ihre Romane auf autobiografische Bezüge hin geflöht werden, als könnte man nur über sich selbst schreiben. Was es natürlich gibt. Bei Thomas Mann fanden emsige Literaturdetektive heraus, dass sich hinter Aschenbach kein Geringerer als Thomas Mann selbst verbirgt, der von seinem Begehren schrieb. In meinem bescheidenen Fall geht man davon aus, dass ich Serena Vitale bin, vor allem, weil Serena Vitale und ich falsche Blondinen sind.

Flaubert sagte „Madame Bovary c’est moi“, und ich sage: „Wolfgang W. Wieneke c’est moi“, obwohl der keine Haare mehr hat (die letzten Fussel hat er sich neulich bei einem türkischen Friseur abrasieren lassen), ich bin aber auch Serena Vitale und Francesca – und Serenas Mutter bin ich auch, obwohl die erhebliche charakterliche Defizite aufweist, vom Altersunterschied ganz zu schweigen.

Schriftsteller geben dann auch noch gerne damit an, dass ihre Romanfiguren ein Eigenleben und eine solche Kraft entwickeln, dass sie zu einer Art Flaschengeist werden: Eigenständige Personen, die dem Autor auf dem Kopf herumtanzen und den Verlauf des Romans diktieren. Ich habe dem Auf-dem-Kopf-Herumtanzen sofort einen Riegel vorgeschoben. Der Wieneke will ständig etwas enthüllen, Serena Vitale will die Mafia besiegen: Meine Aufgabe besteht darin, ihnen Steine in den Weg zu legen. Bei meinen Protagonisten bin mehr so für die harte Hand.

Schließlich werde ich mich nicht von so einer hergelaufenen Romanfigur kujonieren lassen, so weit kommt’s noch.