Erfolgreiche italienische Unternehmer und ich

Nachdem ich mein Buch „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“ geschrieben habe, habe ich drei Jahre mit Prozessen verbracht. Eines der letzten Urteile war in München von einer Richterin erlassen worden, die bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren das Schmerzensgeld heraufgesetzt hatte, weil es ihr „a bissl gering“ erschienen war, und die den Kläger der Form halber noch gefragt hatte, ob er denn nun Mafiamitglied gewesen sei oder nicht, so wie es die BKA-Berichte (die Richterin sagte: „BAK-Berichte) nahelegen. Er erwiderte, dass er sich das auch nicht erklären könne. Als das Oberlandesgericht dem Kläger ein Schmerzensgeld zugesprochen hat, wegen der von mir zugefügten „schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts“, bin ich nicht mehr persönlich erschienen, weil ich es zu demütigend empfand, vor Gericht bedroht zu werden, ohne dass jemand eingreift.

Vom Standpunkt der anthropologischen Forschung war die Erfahrung jedoch sehr nützlich. Sie hat mich letztlich dazu gebracht, mich der Mafia in Romanform zu nähern: Wenn ich ohnehin keine Namen nennen kann, weil ich sofort verklagt werde, warum soll ich mich dann durch die Zwänge eines Sachbuchs einengen lassen? Die Klagen, die Drohungen, die Prozesse waren so etwas wie „method acting“ für meine Romane: Robert De Niro lernte für seine Rolle als Jake LaMotta in „Wie ein wilder Stier“ boxen, ich saß in Gerichtssälen herum und lernte, wie es sich anfühlt, bedroht, verklagt und verleumdet zu werden – und nicht nur juristische, sondern auch sehr aufreibende menschliche Erfahrungen zu machen: enttäuschende, aber auch unverhofft ermutigende.

Literarisch lohnend, geradezu unfassbar ergiebig ist für mich die sogenannte „Grauzone“ der Mafia: Unternehmer, Politiker, Ehefrauen, Rechtsanwälte, Notare, Bischöfe, Bürgermeister, Polizisten und Journalisten – alle diejenigen, die nur so tun, als stünden sie auf der Seite der Guten, finde ich psychologisch interessanter und facettenreicher als die Mafia. Denn ohne die Feigheit vieler und die verschlossenen Münder, ohne ihre Sympathisanten wäre die Mafia schon längst besiegt.

In diesen Tagen habe ich gerade das dritte Manuskript für einen neuen Mafia-Roman abgeschlossen, der im Juli bei Hoffmann&Campe erscheinen wird. Protagonisten sind wie bereits in den beiden anderen Romanen auch die sizilianische Antimafia-Staatsanwältin mit deutschen Wurzeln Serena Vitale und der (meist) tapfere deutsche Investigativjournalist Wolfgang W.Wieneke. Praktisch parallel zu meiner Romanhandlung verklagte mich ein italienischer Geschäftsmann am Landgericht Leipzig. Ich hatte seinen Namen in einem Artikel für den FREITAG genannt, der von dem am Landgericht Leipzig ergangene Urteil gegen den MDR handelte, das nach einer MDR-Dokumentation über die Mafia in Erfurt erlassen worden war. Gerichtsberichterstattung. In diesen Tagen ist das Urteil gegen mich ergangen: Laut Gericht habe ich das Persönlichkeitsrecht des erfolgreichen italienischen Unternehmers verletzt.

Niemand liest meine Artikel über die Mafia in Deutschland und meinen Blog aufmerksamer als gewisse erfolgreiche italienische Geschäftsmänner in Deutschland, besonders diejenigen aus Duisburg und Erfurt, mein Blog verdankt ihnen vermutlich die meisten Clickzahlen. Interessanter aber als das Verhalten dieser erfolgreichen italienischen Geschäftsmänner in Deutschland, ist die bizarre Haltung des FREITAG – dem Blatt eines Herausgebers, der sich, wenn ich es richtig verstehe, doch einiges für sein gesellschaftliches Engagement zugute hält.

Auf meine Anfrage, ob beim FREITAG denn auch eine Klage eingegangen sei, antwortete eine Redakteurin: „Huch – nein, es ist noch nichts hier eingegangen, so weit ich weiß“ und schrieb später: „Also das klingt ja echt übel, ich hoffe, Sie haben jetzt nicht zu viel Ärger mit diesem Mafia-Anwalt …?“ Auch in den folgenden Monaten hörte ich von der Redaktion des FREITAG – nichts. Keine Nachfrage, wie „es denn so läuft“, ganz zu schweigen von dem Angebot, vielleicht den Justiziar des FREITAG zu bemühen – oder in welcher Weise auch immer die Redaktion ihre „Solidarität“ hätte zum Ausdruck bringen können. Im September schrieb mir die Redakteurin, dass die Unterlassungsforderung inzwischen auch beim Verlag eingegangen sei, woraufhin sie vorschlug, meinen Text kurzerhand zu löschen: „Was schade wäre, ja. Aber die Anwaltskosten sind für einen kleinen Verlag wie unseren eine ziemliche Belastung“.

Dass die Gerichts- und Anwaltskosten für eine kleine Autorin wie mich, die an dem Artikel ganze 321 Euro brutto verdient hat, auch eine ziemliche, wenn nicht sogar größere Belastung sind, darauf scheint beim FREITAG allerdings niemand gekommen zu sein. Einen Artikel in vorauseilendem Gehorsam zu löschen, hätte ich, gerade von einem Blatt wie den FREITAG nicht erwartet. Ein unerträglicher Kotau – um vom journalistischen Ethos jetzt mal ganz zu schweigen.

Im November wurde mir die Unterlassungsklage nach Venedig zugestellt. Daraufhin schrieb ich eine lange Mail an den Chefredakteur und Herausgeber des FREITAG, Jakob Augstein. Und Jakob Augstein, der sich auf allen möglichen Kanälen so ziemlich zu allem äußert, von A wie „Atomwaffen in Deutschland“ bis „Z“ wie „Zuwanderung“ – schwieg.

An seiner Stelle wurde mir von der Redakteurin beschieden: „Wie in vergleichbaren Fällen – wenn ein Beitrag also von einer Unterlassungsklage betroffen oder aus anderem Grund juristisch strittig ist – nehmen wir den betreffenden Text von der freitag.de-Seite herunter. Dabei bleibt der FREITAG auch in diesem Fall. Für etwaige weiterführende Rückfragen bitte ich Sie, sich an die Geschäftsführung des Verlags, an Frau Dr. Düts zu wenden, deren Kontaktdaten ich Ihnen hier anhänge.“

Zwei Mal rief ich Frau Düts an. Niemand meldete sich. Dann hatte ich die Botschaft verstanden.

Ich erinnerte mich an einen Satz, den ein renommierter Medienanwalt anlässlich der Schwärzungen meines Mafia-Buches geschrieben hat: „Dass die Presse ihrer Aufgabe als Wächter und Mahner unter solchen Voraussetzungen nicht effizient nachkommen kann, liegt auf der Hand. Das Ergebnis ist eine lückenhafte und damit illusionäre Darstellung der Realität zugunsten von lichtscheuen Gestalten. Während Boulevardmedien Verstöße gegen Persönlichkeitsrechte aus der Portokasse zahlen, werden seriöse Autoren durch diese Rechtsprechung hart getroffen.“ Wie wahr.

Und noch an einen anderen Satz musste ich denken: „Jeder, der über die Mafia schreibt, tut das auf eigene Gefahr.“ Das sagte mir einmal Alberto Spampinato, der Bruder eines von der Mafia ermordeten sizilianischen Journalisten. Er meinte das ganz wörtlich. Denn mit „auf eigene Gefahr“ meinte er nicht nur Gefahr für das Leben, sondern auch für die Integrität. Denn der Siegeszug der Mafia in der Welt beruht keineswegs allein auf Gewalt, sondern vor allem auf Geld und dem Schweigen vieler.

Auf der Unterlassungsklage, die mir nach Venedig geschickt wurde, stand kurioserweise das Stockwerk als Zusatz zu meiner Adresse. Abgesehen davon, dass meine venezianische Adresse über geneigte Quellen leicht in Erfahrung zu bringen ist, kriegt man das Stockwerk nur heraus, wenn man vor der Wohnungstür gestanden hat.

Das sind so kleine Feinheiten – die man allerdings nur goutieren kann, wenn man auf die Idee kommt „auf eigene Gefahr“ über die Mafia zu schreiben.

Super Geschichte. Also so als Inspiration für kommende Romane gedacht.