Nur um mal wieder zu erzählen, wie geschickt die Mafia darin ist, die Menschen und ihre Gefühle für sich einzunehmen, eine kleine Episode aus Palermo. Dort hat der Erzbischof von Palermo, Kardinal Paolo Romeo, den Sohn des (inhaftierten) Bosses Giuseppe Graviano von der Firmung in der Kathedrale von Palermo ausgeschlossen. Mit Verweis darauf, dass es vielleicht keine so gute Idee wäre, den Sohn des Auftraggebers des Mordes am Priester Don Pino Puglisi ausgerechnet in der Kathedrale zu firmen, in der auch der von der Mafia ermordete Padre Puglisi begraben liegt. So weit, so ehrenhaft.
(In den Ohren vieler Italiener klingt auch heute noch der Ausspruch von Palermos Kardinal Ernesto Ruffini: „Die Mafia? Ist das nicht eine Seifenreklame?“. Man kann also nicht behaupten, dass sich die Kirche in Palermo der Mafia wesentlich in den Weg geworfen hätte. Zumal erst vor kurzem die Nichte des untergetauchten Bosses Matteo Messina Denaro in der Palastkapelle des Palazzo Reale in Palermo getraut wurde.)
Jetzt könnte man meinen, dass man – besonders auch nach der päpstlichen Androhung der Exkommunikation von Mafiosi – in Palermo sehr zufrieden mit der Entscheidung von Kardinal Romeo ist. Stattdessen aber: große Empörung. Die Schulkameraden von Graviano jr. nehmen den Sohn des Mafiabosses in Schutz („guter Junge“) und Luciana Ciminiano, Tochter des Mafiosos und Ex-Bürgermeisters von Palermo, fühlte sich gar gedrängt, einen offenen Brief zu schreiben, in dem sie ihrer Empörung über die Entscheidung des Kardinals Luft machte. „Nicht alle Namen sind gleich“, schrieb sie, „wie auch nicht alle Väter und Söhne gleich sind. Ich spreche im Namen all derjenigen, die sich entschieden haben, nicht zu flüchten, sondern ein normales Leben in dieser Stadt zu führen“.
Nun muss man sagen, dass diese Entscheidung die Söhne und Töchter von untergetauchten oder inhaftierten Bossen kein großes Opfer abverlangt, leben sie doch – anderes als viele junge Sizilianer – in großem Wohlstand, den sie sich mit dem Blut ihrer Opfer erarbeitet haben.
Wie Salvatore Borsellino, Bruder des ermordeten Staatsanwalts auf diesen offenen Brief erwiderte, wäre die Lage anders, wenn sich die Söhne und Töchter der Mafiosi öffentlich von ihren Vätern und ihren Taten distanziert hätten. So wie es der Bruder von Luciana Ciminiano tat, Massimo Ciancimino, der, anders als seine Schwester, mit der Antimafia-Staatsanwaltschaft von Palermo zusammenarbeitet und einen hohen Preis dafür bezahlt: Früher wurde er von Palermos guter Gesellschaft hofiert, heute meidet man ihn.
Von einen Minderjährigen ist es vielleicht etwas viel verlangt, den Mut aufzubringen, sich von seinem Vater und der Mafia loszusagen.
Liebe Frau Reski,
ich kann einerseits ihre Argumentation nachvollziehen (zumindest mit dem Herzen); mein Verstand fragt aber folgendes: darf man dem Sohn eines Delinquenten (auch am Ort des Verbrechens) etwas verwehren, das anderen zustehen, weil er sich nicht (öffentlich) von seinem Vater (bzw. dessen Verbrechen) distanziert? Für eine Glaubensgemeinschaft zu urteilen, fühle ich mich nicht berufen, aufs Politische übertragen fände ich den Gedanken allerdings schwer erträglich.