Das Netz ist unerbittlich. Kaum war er damit beauftragt, die nächste italienische Regierung zu bilden, kursierte auf Facebook das Foto eines trotzigen Matteo Renzi, der fragt: „Ja, was habt Ihr denn gedacht? Dass Ihr für zwei Euro Che Guevara kriegt?“. Mit den zwei Euro ist der Obolus gemeint, den die treuen (und vielleicht auch etwas masochistisch veranlagten) Anhänger der linksdemokratischen PD für die Vorwahlen entrichten mussten, aus denen der 39jährige Bürgermeister von Florenz im Dezember als neuer Generalsekretär der größten italienischen Partei hervorging. Mehr als zwei Millionen stimmten für den selbst ernannten Verschrotter der Nation, der erfolgreich auf der basisdemokratischen Welle surft, die seit dem Einzug der Fünfsterne-Bewegung über Italien rollt.
Der Verschrotter muss jetzt mit dem Schrott regieren, er muss nicht eine, sondern DIE große Koalition weiterführen, jene unheilige Allianz zwischen Berlusconi und den Linken, die Italien seit 20 Jahren beherrscht – 19 Jahre lang heimlich, seit einem Jahr offiziell – und die von dem rüstigen Greis im Präsidentenpalast, dem 88jährigen Giorgio Napolitano am Leben gehalten wird: Egal, was die Italiener wählen, am Ende bestimmt das große Mauscheln die italienische Politik. Die einzige Neuigkeit der letzten zwanzig Jahre war der Einzug der Fünfsterne-Bewegung in das Parlament – zum ersten Mal gibt es eine echte Oppositionspartei – weshalb die traditionellen italienischen Parteien die Fünfsterne fürchten wie der Teufel das Weihwasser.
Ansonsten hat sich in den letzten 20 Jahren nichts getan – jedenfalls nicht zum Vorteil jener Italiener, die nicht zufällig mit Politikern verwandt sind: Italiens Wirtschaft stagniert, die mittleren und kleinen Unternehmen leiden unter einer Steuerlast von über 65 Prozent, junge Akademiker flüchten ins Ausland, 40 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos, die Staatsverschuldung beträgt 120 Prozent des Bruttosozialprodukts, und die Mafia macht mehr Umsatz als Fiat (bevor Fiat ebenfalls ins Ausland flüchtete). Die Gewerkschaften sind die rückständigsten Europas, bislang wurde von ihnen jeder Vorschlag, das Arbeitsrecht zu reformieren, im Keim erstickt. Das einzige, was sie sich abringen ließen, war Zeitverträge zuzulassen. In den letzten 20 Jahren hat kein italienischer Politiker ernsthaft versucht, sich mit ihnen anzulegen. Sollte Renzi es wagen, wird es ihn seinen Kopf kosten.
Renzi wird der 27. italienische Regierungschef seit 1946, der vierte Regierungschef in vier Jahren, wer jetzt aber denkt, dass sich damit irgendetwas ändern würde, der irrt: Die Regierungen ändern sich, aber die Gesichter sind seit zwanzig Jahren die gleichen. Selbst Renzi ist kein Neuling in der italienischen Politik, er trat schon 1996 in die christdemokratische Partito Popolare Italiano ein (Partei seines Vaters und Vorläufer des christdemokratischen Flügels der PD). Um sich in diesen Kreisen zu bewegen, bedarf es einer gewissen Robustheit.
Renzi scheint einen starken Magen zu haben: Er traf sich bereits 2010 mit Silvio Berlusconi – damals noch geheim: „Heute keine besonderen Termine“ verkündete Renzis Pressestelle, während er in Berlusconis Villa saß und von ihm als „reformatorischer Sozialdemokrat“ gelobt wurde. Vor einem Monat konnte sich Renzi ganz offiziell mit dem inzwischen vorbestraften Berlusconi treffen, um mit ihm „in größter Einigkeit“ das Wahlgesetz zu besprechen. Ein Wahlgesetz, das ist überfällig ist, nachdem das Verfassungsgericht das alte, „Schweinerei“ genannte (die Partei, die 30 Prozent der Stimmen bekommt, wird mit der Mehrheit der Sitze belohnt) als nicht verfassungskonform erklärte. Renzi und B. einigten sie sich auf ein Wahlgesetz, das von namhaften Juristen als noch größere Schweinerei bezeichnet wird, weil es ebenfalls einen Mehrheitsbonus vorsieht und ebenfalls keine Kandidaten zur Wahl stehen, sondern nur Parteien oder Parteibündnisse, weshalb der Wähler die Katze im Sack kaufen muss.
B. freut sich jetzt ein Loch in den Bauch, er drückte Renzi an seine breite Brust und lobt ihn mit einem „Matteo ist intelligent, aber kein Kommunist“ was einer Umarmung einer Boa constrictor gleichkommt. Napolitano, der rüstige Greis im Quirinalspalast, bestimmt die italienische Politik seit 2006 und hat keineswegs die Absicht, sein Lebenswerk von einem ehrgeizigen Jüngelchen ruinieren zu lassen. Ihm kommt die Parteilinke der PD zur Hilfe, die es bislang schaffte, jeden linken „Hoffnungsträger“ zu pulverisieren – und den Verschrotter zu verschrotten. Sie werfen Renzi vor, seinen Vorgänger Letta gemeuchelt und den Löwen zum Fraß vorgeworfen zu haben – wie der Zoo von Kopenhagen es mit der Giraffe tat.
Jetzt wurde bekannt, dass dort eine zweite Giraffe zum Abschuss bereit steht.