Die Frau, die von sich behauptet, in Italien zu leben

Es gibt Dinge, auf die man sich verlassen kann. Konfetti an Karneval. Schokoladeneier zu Ostern. Und der Kommentar der SZ-Korrespondentin, die unter der fixen Idee leidet, in einem Land zu leben, das sie Italien nennt,  aber nichts mit Italien zu tun hat.

Es ist für die Nachrichtenredaktion der SZ nicht einfach, nehme ich an, ständig schickt die Korrespondentin ihre Einschätzungen, Kommentare und gelegentlich auch LeidLeitartikel, über ein Land , das nur in ihrem Kopf existiert – aber niemand hat den Mut, ihr das zu sagen. Es gibt Leute, die halten sich für Napoleon und rasten aus, wenn man ihnen die Wahrheit sagt. Der Schriftsteller Ermanno Cavazzoni hat das mal sehr schön in seinem Buch „Kurze Lebensläufe der Idioten“ beschrieben, da schrieb er zum Beispiel über einen Mann, der davon besessen war, anderen den Blutdruck messen zu wollen, ein anderer war ein Feind der Geschwindigkeit, er schrie alle an, ob sie nicht merken würden, in welch atemberaubender Geschwindigkeit sich die Erde um ihre eigene Achse drehe – deshalb sagt sich die Nachrichtenredaktion der SZ wahrscheinlich: Egal, was sie schreibt, drucken wir es einfach weg.

Heute morgen schrieb sie über die italienische Parlamentspräsidentin Laura Boldrini: „Es waren harte Worte, die Laura Boldrini im Fernsehen äußerte, schwere Vorwürfe, doch die Nerven der Präsidentin des italienischen Abgeordnetenhauses lagen blank: „Das sind potenzielle Vergewaltiger“, urteilte sie über einige ihrer Kollegen. Derartiges hört man selbst in Italien selten“

Kein Wort darüber, dass die von der SZ gerühmte Boldrini den Abgeordneten der 5-Sterne-Bewegung Redeverbot erteilte (der Fachausdruck heißt: „die Guillotine anwenden“ zum ersten Mal in der Geschichte des italienischen Parlaments, wo diese Möglichkeit anders als im Senat, eigentlich gar nicht erlaubt ist), kein Wort darüber, worum es in der Abstimmung ging: Die 5-Sterne-Bewegung – als einzige Opposition in Italien – wollte mit ihren Reden verhindern, dass die italienische Regierung den italienischen Privatbanken ein Geschenk über 7,5 Milliarden Euro macht (Was dieses Geschenk bedeutet, erklärte der Wirtschaftsexperte Gianni Dragoni, dem man alles nachsagen kann, nicht aber, ein Anhänger der 5-Sterne-Bewegung zu sein.) Nein, für die SZ-Korrespondentin handelt es sich lediglich um Randale: „die Vertreter der „Bewegung Fünf Sterne“ des Komikers Beppe Grillo, die sich vorige Woche im Parlament aufführten wie wild gewordene Pennäler. Sie wurden handgreiflich, um die Arbeiten der Ausschüsse zu torpedieren. Die stets würdevolle Präsidentin Boldrini versuchte, wie es ihr Amt verlangt, die Disziplin wiederherzustellen und kündigte Konsequenzen an.“

Kein Wort über die Beschimpfungen, die die politische Kaste der „anders anständigen“ (seitdem sich in Italien die große Koalition endlich geoutet hat, pflegt man in der Regimepresse einen politisch-korrekte Sprache, wer stiehlt, betrügt und lügt ist nicht korrupt, sondern einfach nur „anders anständig“) seit Jahren über Grillo und die 5-Sterne-Bewegung ausschüttet, und wo Grillo und die Anhänger der 5-Sterne-Bewegung wahlweise als Faschisten, Berlusconi-Anhänger, Lega-Anhänger, geistig Behinderte, Pädophile, Terroristen, Feiglinge, Idioten, Diebe, Rassisten, Antidemokraten, Impotente, Scheißdreck, Scheintote oder Schweine bezeichnet werden. Hier eine kleine Auswahl aus der Doppelseite von Beschimpfungen, die Marco Travaglio heute morgen für seine Zeitung „Il Fatto“ zusammengestellt hat (Remember: Il Fatto ist die einzige Zeitung in Italien, die nicht einer Partei oder einem einer Partei nahestehenden Industriellen oder dank der Mafia reich gewordenen Milliardärs gehört)

  • „Welcher Unterschied besteht zwischen Mussolini und Grillo? Keiner.“ (Libero, B.S Hauspostille am 2.2.14) „Die Abwahl von Berlusconi soll in geheimer Wahl erfolgen? PD und Grillo kopieren den Duce“ (Il Giornale, B.’s andere Hauspostille am 17.10.13) „Grillos Logik ist die der Nazis“ (Corriere della Sera, 28.8.12) „Grillo ist Doktor Gribbels“ (Il Foglio, B.’s dritte Hauspostille am 7.6.2013).  „Grillo ist wie Silvio“ (Unità, Parteizeitung der PD, 5.6.13) „Grillo ist eine Person von brutaler Gier“ (Corriere della Sera, 25.9.07) „Sie sind hässlich, sie sind nach den wesentlichsten Regeln der Farbauswahl schlecht angezogen, haben Frisuren wie Strafgefangene oder Provinzidioten, sprechen ein rudimentäres Vorort-Italienisch, vermischt mit Bürokratenchinesisch, lesen nichts anderes als Grillos Blog, hängen den Verschwörungstheorien psychisch Kranker an, bewegen sich nur als Meute, haben keinen einzigen Gedanken“ (Libero 31.1.14) „Scheißdreck, Arschloch, kommt raus, ihr Scheißmoralisten“ (Abgeordnete der Pd und der PdL zu den Abgeordneten der 5-Sterne-Bewegung im Parlament am 10.9.13) „Nordkoreanische Basisdemokratie“ (Il Foglio 12.12.12)

Kein Wort darüber, dass die parlamentarische Mehrheit aus Parlamentariern besteht, die für Berlusconis PDL vor den Justizpalästen in Rom und Mailand gegen die italienische Justiz demonstriert haben, und die einstimmig (Pd und PdL) dafür stimmten, dass es sich bei der Minderjährigen Ruby Rubacuore, die eine sexuelle Beziehung zu Berlusconi unterhielt, um eine „Nichte von Mubarak“ handele. Das alles konnte die SZ-Korrespondentin natürlich nicht erwähnen, wie auch, wenn das Italien, über das sie schreibt, nur in ihrem Kopf existiert. Und in ihrem Kopf wurde ist die Parlamentspräsidentin Laura Boldrini  „für die kleine, linke Ökopartei SEL ins Parlament gewählt“ und nicht, wie es der Wahrheit entspricht, per Federstrich ernannt und in das Amt gesetzt, weil es so schön war, sich mit einer ehemaligen Mitarbeiterin des UN-Flüchtlingswerks der Uno zu schmücken. Und deshalb ist der italienische Staatspräsident Napolitano in der SZ eben auch der alte, weise Mann auf dem Quirinalshügel und nicht der Staatspräsident, der dafür sorgte, dass die Telefonmitschnitte seiner Gespräche mit einem Ex-Minister, der verdächtigt wird, mit der Mafia zusammengearbeitet zu haben, als Beweismittel vernichtet wurden – oder der Mann, der den Einmarsch der Sowjets in Ungarn begrüßte und als Innenminister 1994 dafür sorgte, dass die Aussagen eines abtrünnigen Camorrista über die Giftmülllager der Camorra in Kampanien unter Verschluss gehalten wurden, zwanzig Jahre lang – bis die dort lebenden Italiener vergiftet waren.

Wie gesagt, es wird schwierig, der Frau die brutale Wahrheit ins Gesicht zu sagen, also dass das Italien, das sie beschreibt, überhaupt nicht existiert. Als man versuchte, dem Blutdruckmesser das Blutdruckmessgerät wegzunehmen, fing er an zu randalieren, und der Feind der Geschwindigkeit warf sich schreiend auf den Boden, weil er nicht glauben wollte, dass man die Erdumdrehung nicht spürt. Vielleicht sollte man es bei der SZ mal mit einem Magneten probieren, bei Cavazzoni jedenfalls wurde eine Frau damit von einer fixen Idee geheilt.