Weil ich im Ruhrgebiet aufgewachsen bin, wo seit Menschengedenken die Sozialdemokraten herrschen, habe ich spätestens mit sechzehn begriffen, dass es nicht gut ist, wenn die gleichen Parteien über Jahrzehnte an der Macht bleiben.
Wahlen im Ruhrgebiet – das war für mich als Kind so etwas wie die Menüfolge auf Familienfeiern. Seitdem ich denken konnte, gab es gemischte Fleischplatte und gemischte Gemüseplatte mit dem Blumenkohl in der Mitte, und seitdem ich denken konnte, wurde ich von der SPD regiert. Sie siegte bei jeder Wahl, bei der Landtagswahl, bei den Kommunalwahlen, und jedes Mal taten alle so, als ob der Sieg jetzt die große Überraschung gewesen wäre. Ich ahnte, dass es noch andere Parteien gab, glaubte aber nicht wirklich an ihre Existenz. Woanders vielleicht, im Schwarzwald oder am Chiemsee, wo die Welt nicht aus jener Stadt bestand, die nicht aufhörte, sondern aus einer Landschaft, die aussah wie aus Marzipan gemacht, da existierten sie vielleicht, die anderen Parteien. CDU oder so. Wir hatten die SPD.
Und seitdem ich denken konnte, befremdete mich die Selbstgewißheit der SPD-Genossen – besonders wenn sie sich feierten, für den Bau der Hochstraße, des neuen Krankenhauses, des neuen Rathauses, des Hallenbades und ich ihnen als Aushilfskellnerin mit 15 Prozent Beteiligung am Umsatz in der Konzertaula die Herrengedecke servierte, Pils und Piccolo. Als ich das erste Mal wählen durfte, wählte ich FDP. Aus Protest. Mir war es zwar nicht ganz geheuer, dass der Vater meiner Freundin I., ein wohlhabender Arzt, ebenfalls FDP wählte, aber CDU ging nicht, weil man als Arbeitertochter keine CDU wählen kann, und die Grünen gab es noch nicht.
Von daher kann ich verstehen, dass hier so viele für die 5Sterne-Bewegung stimmten. Besonders, wenn man, so wie ich, in Venedig wohnt, einer Hochburg der Linksdemokraten. Die sich vor allem damit hervorgetan haben, die Stadt zu verscherbeln (Kann man unter anderem hier nachlesen). Um so mehr ist zu rühmen, dass dank der 5Sterne jetzt auch endlich mal Dinge aus dem venezianischen Rathaus Ca‘ Farsetti (auch genannt: „Ca‘ Farsetti Real Estate“ ) nach außen dringen. Etwa über die genauen Umstände des Verkaufs des Fondaco dei Tedeschi an Benetton.
Gestern abend segnete die Stadt Venedig den Verkauf an Benetton ab. Ungeachtet aller Proteste. Ungeachtet auch der Kleinigkeit, dass die Stadt nie offiziell schätzen ließ, wie hoch der Wert des Fondaco dei Tedeschi ist. Einer vergleichbare Immobilie im Viertel San Marco kostet zwischen 8000 und 20 000 Euro pro Quadratmeter – und der Fondaco wurde für 8000 Euro verkauft, was später, auf 9000 Euro erhöht wurde – ohne auch nur zu berechnen, wie hoch der Wert der Immobilie steigen würde, nachdem im Baunutzungsplan die „öffentliche Nutzung“ des Fondaco dank des Federstrichs des Bürgermeisters in „gewerbliche Nutzung“ umgewandelt wurde.
Weil es sich hierbei um ein öffentliches Gebäude handelt, muss bei einem solchen Verkauf dafür gesorgt werden, dass der Öffentlichkeit auch nach dem Verkauf noch einen Teil nutzen kann. Die Quadratmeterzahl, die Benetton nun für die öffentliche Nutzung des Fondaco dei Tedeschi vorgesehen hat, entspricht der Quadratmeterzahl der öffentlichen Toiletten.
Die Kulturschutzvereinigung Italia Nostra, verschiedene andere venezianische Bürgerinitiativen und die 5Sterne-Bewegung werden nun Klage einreichen. Bei der Staatsanwaltschaft und beim italienischen Rechnungshof.