Wie einig die politische Klasse Italiens sein kanm, läßt sich in diesen Tagen feststellen, nachdem die Staatsanwaltschaft Palermo unter der Federführung von Antonio Ingroia (über ihn habe ich im blog auch hier, hier und hier geschrieben) Klage gegen eine Reihe von Politikern, hohen Polizeibeamten und Mafiabossen erhoben hat – wegen ihrer Rolle bei den Verhandlungen der sogenannten „Trattativa„, den Verhandlungen zwischen Vertretern des italienischen Staates und Mafiabossen in der Zeit vor, nach und während der Ermordung der beiden Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino.
Die „Trattativa“ ist die Essenz der Mafia – die von ihren Ursprüngen an stets mit der Politik zusammengearbeitet hat: Mafia und Politik verhalten sich zueinander wie der Fisch und das Wasser, sagte einst der Mafioso Antonino Giuffrè: Es gibt kein Wasser ohne Fische und keinen Fisch ohne Wasser. Für die gelungene Zusammenarbeit zwischen Politik und Mafia gibt es in der italienischen Geschichte zahlreiche Beispiele, das des siebenfachen Ministerpräsidenten Andreotti ist nur eines davon. Als „Mutter“ aller Verhandlungen zwischen Mafia und Politik gilt die Landung der Amerikaner in Sizilien – die von Lucky Luciano arrangiert und damit belohnt wurde, eine Reihe von Mafiabossen zu Bürgermeistern zu machen.
Hintergrund der Klage der Palermitanischen Staatsanwaltschaft ist die Vermutung, dass Paolo Borsellino ermordet wurde, weil er damals von der „Trattativa“ erfahren und sich ihr widersetzt hatte. Seitdem die Staatsanwaltschaft Palermo die Klage erhoben hat, versuchen die darin verwickelten Politiker (sowohl rechte wie linke) vereint mit den ihnen zur Verfügung stehenden Medien (95 Prozent der italienischen Medien) alles, um sich der Missetäter zu entledigen.
Allen voran macht sich Staatspräsident Napolitano stark, der von dem ehemaligen Innenminister Mancino angerufen wurde, um sich für ihn zu verwenden. Napolitano lehnte dieses Anliegen nicht empört ab, sondern versicherte seine Unterstützung.
Unglücklicherweise wurde Mancinos Telefon abgehört, weil die Staatsanwälte in Palermo befürchteten, dass er seine bevorstehende Zeugenaussage mit einem anderen in die Affäre verwickelten Politiker absprechen würde. So konnte es passieren, dass das Telefonat mit Staatspräsident Napolitano in den Akten der Staatsanwaltschaft Palermo landete.
Wenn, wie der Journalist Marco Travaglio bemerkte, sich Berlusconis Traum verwirklicht und der kleine Mann mit den hohen Absätzen anstelle des linken Säulenheiligen Napolitano im Quirinalspalast gesessen hätte – und damit in Palermos Akten gelandet wäre – dann wäre in Italien vermutlich eine Revolution ausgebrochen: Die Repubblica hätte B.’s Kopf gefordert, und nicht, so wie jetzt, beschämt geschwiegen. Einig wie nie verlangt die Kaste, die Palermitanischen Staatsanwälte zu neutralisieren, per Dienstaufsichtsbeschwerde, per Klage, per Versetzungsanträgen. Und Berlusconis Medien, denen die Palermitanischen Staatsanwälte seit dem Urteil gegen B.’s rechte Hand Marcello Dell’Utri wegen Beihilfe der Mafia ein Dorn im Auge sind, jubeln, weil sie das allein nie so hingekriegt hätten.
Die italienischen Parteien (mit Ausnahme der Di-Pietro-Partei Italia dei Valori) stehen zusammen wie ein Mann – glücklich, dass sich Staatsanwalt Antonio Ingroia für ein Jahr nach Guatemala versetzen ließ, fordern sie nun, weil sie schon einmal dabei sind, auch noch den Kopf des Staatsanwalts Roberto Scarpinato, der sich schuldig gemacht hat, auf der Gedenkfeier für Paolo Borsellino einen Brief zu verlesen, in dem er sein Unbehagen formulierte, an Feiern teilzunehmen, in denen in der ersten Reihe Politiker sitzen, denen der „Geruch des moralischen Kompromisses anhaftet“. Seitdem läuft gegen ihn eine Dienstaufsichtsbeschwerde und ein Versetzungsantrag. Daraufhin kam es zu einem von 400 italienischen Richtern und Staatsanwälten unterzeichneten Protestbrief (einzigartig in der italienischen Justizgeschichte) an den obersten Richterrat, in dem es heißt: „Scarpinato hat uns an Borsellinos Gewissen, Mut und Einsatz für Gerechtigkeit und Wahrheit erinnert“.
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