Es war in der Nähe von Hannover, in einem der vielen Hotels, in denen ich während meiner Lesereise übernachtete. Ein Hotel, das vor allem von Geschäftsreisenden besucht wurde. Von Außendienstmitarbeitern, um genau zu sein. Was ich, als Autorin auf Lesereise, ja im Grunde auch war. Das Büffet war das Übliche, Marmelade in Puppenpackungen, traurige Obstsalate, Zehnkämpfermüslis und flamingofarbener Joghurt, von dem ich annahm, dass er im Dunkeln leuchtete. Ich entschied mich für ein Ei. Für ein weichgekochtes Ei. Weil das Frühstücksbüffet jedoch nur hartgekochte Eier vorsah, bestellte ich bei der Kellnerin ein weichgekochtes Ei.
Aber nur auf Ihre Verantwortung, sagte sie und blickte sehr ernst.
Umgehend erklärte ich mich bereit, die Verantwortung für mein weichgekochtes Ei zu übernehmen. Dann trank ich weiter meinen grünen Tee und hörte den Außendienstmitarbeitern vom Nebentisch dabei zu, die beklagten, dass der Absatz von Düngemittel in Niedersachsen im Vergleich zu Schleswig-Holstein rapide gesunken sei. Bald darauf kehrte die Kellnerin an meinen Tisch zurück. Vorwurfsvoll sagte sie: Ich mache mich aber strafbar!
Es mag daran gelegen haben, dass ich seit Wochen über nichts anderes als über Strafsachen sprach. Über den Unterschied zwischen der kriminellen Vereinigung nach Art der Mafia und der Mafiazugehörigkeit. Über Clans und ihre Machenschaften, über die Geldwäsche der Mafia in Deutschland, über den Sechsfachmord in Duisburg und seine Auswirkungen. Vielleicht wollte mir die Kellnerin auf etwas ungewöhnliche Weise eine Information zukommen lassen? Informanten, besonders, wenn es sich um Mafiadinge handelt, sind immer etwas speziell. Häufig leiden sie unter Verfolgungswahn. Deshalb fragte ich in möglichst neutralem Ton nach, weshalb sie annehme, dass sie sich strafbar mache.
Wegen Ihres Eis!, sagte sie, nun im Ton schon etwas lauter werdend.
Oh, sagte ich. Und fragte sie, welche Straftat in meinem Ei stecken könne.
Weichgekocht, sagte die Kellnerin. Weichgekochte Eier sind verboten.
Am frühen Morgen schlagen mir Straftaten auf den Magen. Dennoch versuchte ich schüchtern einzuwenden, dass ich in allen Hotels, in denen ich übernachtet hatte, ein weichgekochtes Ei bekommen habe. Ohne nennenswerte Widerstände überwinden zu müssen. Die Kellnerin schien das nicht zu beeindrucken. Sie kniff die Augen zusammen und blickte mich so verächtlich an, wie man eine anblickt, die im deutschen Hotelwesen bereits eine Schneise krimineller Verwüstung hinterlassen hatte. Die Dutzende unbescholtener deutscher Kellnerinnen zu einer Straftat verleitet hatte.
Fragen Sie doch noch mal nach, beharrte ich.
Es ist europäisches Gesetz, sagte die Kellnerin.
Vielleicht können Sie Ihre Chefin fragen, sagte ich hoffnungsvoll. Möglicherweise ging es ihr ja nur darum, die Verantwortung zu delegieren. Die Kellnerin zuckte mit den Schultern und verschwand hinter einer Schiebetür. Ich holte mir neuen Tee vom Frühstücksbüffet. Nach einem gefühlten Jahrhundert, der Tee war kalt, und die Außendienstmitarbeiter hatten bereits ihren Außendienst angetreten, kam die Kellnerin wieder an meinen Tisch. Und sagte: Es ist wie ich Ihnen erklärt habe. Wir machen uns alle strafbar.
Aber es ist doch nur ein Ei, sagte ich.
Gesetz ist Gesetz, sagte die Kellnerin.