Lido

Heute wurde auf dem Lido die Badesaison eröffnet. Ich gehöre zu einer Badekabine am Strand des Hotels Des Bains, prima fila, erste Reihe, wohin ich mich erfolgreich vorgearbeitet habe, nachdem ich einige Jahre lang den Tort hinnehmen musste, mich mit der zweiten Reihe zu begnügen, von wo aus ich das Meer nur durch einen Spalt zwischen zwei Badekabinen sehen konnte und ertragen musste, dass mir die Enkelkinder meiner Badekabinengenossinnen auf die Füße pinkelten, amooore, amore mio!

Weil die Miete einer Badekabine am Lido etwa so hoch ist wie das Bruttoinlandsprodukt von Burkina Faso, teile ich mir die Kabine mit 15 weiteren Damen eines gewissen Alters – wie man in Italien sagt. In meiner neuen Badekabine sind Kinder verboten, Enkelkinder ebenso und Männer eigentlich auch, wir haben nur einen einzigen Mann in unserer Badekabinengesellschaft aufgenommen, und der gilt nicht, weil er schwul ist. Wobei ich aber nicht sagen möchte, dass die Damen meiner Badekabine männerfeindlich gesinnt wären, sie finden nur, dass es wenig Männer gibt, die zu uns passen.

Wie immer habe ich die Damen von den Kabinen nebenan begrüßt, Damen, die bereits in ihre Kreuzworträtsel vertieft waren oder Karten spielten. Und wie immer habe ich die Angebote der Strandverkäufer abschlägig beschieden, die mir Louis-Vuitton-Taschen und Ketten aus Halbedelsteinen verkaufen wollten. Wobei zu sagen ist, dass die Verkäufer zu den anderen Damen ein durchaus familiäres Verhältnis pflegen. Wenn der marokkanische Taschenverkäufer sein Bonjour Mesdames! schmettert, dann zirpen sie Bonjour, Bonjour! zurück, und wenn sich der srilankische Schmuckverkäufer nähert, dann fragen sie ihn mit großer Warmherzigkeit, wie es ihm im Winter zu Hause in Sri Lanka ergangen sei und beglückwünschen ihn so herzlich zur Geburt seines zweiten Kindes, als handele es sich um ihr eigenes Enkelkind (mit dem sie sich aber nie am Strand zeigen würden!) und versichern ihm, dass sie sich die Sache mit der Amethystkette überlegen würden.

Und das Schöne an diesem Badekabinenleben ist, dass mich, wenn ich wieder am Strand sitze, ein Hauch von Ewigkeit umweht. Weil sich dieser Tag nicht wesentlich von dem Tag vor einem Jahr unterscheidet und auch nicht von dem Tag vor drei Jahren und genauso wenig von dem Tag vor zehn Jahren. Meine Freundin Marisa sonnt sich wie immer mit nach außen gedrehten Armen, Maria Pia hat wie immer Obstsalat im Tuppertopf mitgebracht, Giuseppina liest den Gazzettino und regt sich wie immer über Berlusconi auf. Wenn es also ein ewiges Leben geben sollte, dann hier, am Strand des Des Bains.